INTERVIEW MIT SUPER TOM ZU PUNKVOTER.COM (#3)

DIE QUAL DER WAHL ODER DEM ÜBEL WIDERSTEHEN?

Die Bürgerinnen und Bürger der USA haben am 2.November des letzten Jahres mit George W. Bush den amtierenden Präsident der USA wiedergewählt. Um die Qualität oder Eignung George W. Bushs soll es in diesem Artikel aber nicht gehen, sondern um einige der Verlautbarungen und Initiativen die sich im Vorfeld des US- Präsidentenwahlkampfs in selbigen eingeschaltet haben. Wie selten eine Präsidentenwahl zuvor, stand die US- Wahl im Blickpunkt des weltweiten Medieninteresses. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich: Zum einen ist die weltpolitische Lage seit dem 11.9.2001 wesentlich instabiler geworden, durch die Militärintervention in Afghanistan, dem dritten Golfkrieg und der damit verbundenen Stationierung von über 100000 US- Soldaten im Irak, der Verschärfung des Konflikts zwischen Palästinensern und Israel und dem immer stärker und brutaler auftretenden Terror islamischer Mörderbanden, zum andern durch die unglaublich große, weltweite Unbeliebtheit George W. Bushs. Diese Unbeliebtheit (um es milde auszudrücken) ist vor allen Dingen durch Bushs Außenpolitik begründet, war aber auch schon vor seinem Regierungsantritt 2000 vorhanden. Teilweise wurde die US- Wahl 2004 sogar in ungeahntem Maß eschatologisch zum entscheidenden Endkampf zwischen Gut und Böse hochstilisiert. Kein Wunder also, das es auch in der us- amerikanischen Punk/HC- Szene ein großes Interesse an der US- Wahl 2004 gab.
Hierzu haben sich zwei Initiativen aus der Punkszene heraus, gegründet, mit dem Ziel ‚ihren’ jeweiligen Favoriten zum Wahlsieg zu verhelfen. Da wäre zum einen Punkvoter.com, welches von NOFX Sänger und Fat Wreck Chords Boss Fat Mike mit dem Ziel gegründet wurde, möglichst viele junge Leute dazu zu bringen, sich für die Wahl registrieren zu lassen, um dann John Kerry zu wählen. Und quasi als Antipode zu Punkvoter.com, conservativepunk.com, welche George W. Bush zur Wiederwahl verhelfen wollen. Bemrkenswert daran ist, wie viel Aufmerksamkeit dem ganzen in der hiesigen Punkszene zu teil wird. Meinem Eindruck nach, beschäftigt die US- Präsidentschaftswahl manchen Fanziner und Punker, mehr als die aktuellen, deutschen Verhöltnisse. Hassartikel übre George W. Bush habe ich mittlerweile zuhauf gelesen. Hassartikel über Gerhard Schröder dagegen kaum., obwohl es Gründe genug dafür gebe. Aber so war das ja schon immer: Es ist halt einfacher sich über den Dreck vor Nachbars Haustür zu beschweren, als den eigenen Dreck wegzumachen!
Interessant sind auch die Reaktionen zu conservativepunk.com. Natürlich ist diese Seite so ziemlich das allerletzte. Und auch wenn sich unter dem Begriff ‚Punk’ ziemlich viel subsumieren lässt, der Begriff ‚Konservativ’ gehört meinem Verständnis nach, mit Sicherheit nicht dazu! Deshalb sind auch die ablehnenden Reaktionen zu dieser Seite berechtigt, doch greift die Kritik an conservativepunk.com meiner Meinung nach, zu kurz. Durch das Großwerden und der Mainstreamisierung der ganzen Punk´n´Roll Posse und der Wiederkehr von Oi unter dem Label ‚Streetpunk’, haben konservative Wertvorstellungen ihren (Wieder?) Einzug in die Punkszene gefunden (Hardcore ist hier auch nicht besser, wie schon allein das Nötigsein von ‚Good Night White Pride’ zeigt). Was zum Teil durch diese Musik für Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder transportiert werden, ist echt heftig. Oder das eine sich offen patriotisch gebende Band wie Dropkick Murphys kaum Kritik für ihr Schaffen erntet und ungestört Touren- und Plattenveröffentlichen kann. Dies ermöglicht doch erst eine Seite wie conservativepunk.com. Nur leider wird dies in der Kritik an conservativepunk.com immer ausgeblendet. Und auch das der Akt der Stimmabgabe für eine Partei oder Kandidat, ein zutiefst reaktionärer Akt (und damit auch Initiativen/ Webseiten, die zur Teilnahme an einer Wahl aufrufen) ist, kommt in der Kritik an conservativepunk.com und der vereinzelten Kritik punkvoter.com, überhaupt nicht vor.
Und auch wenn punkvoter.com sympathischer rüberkommt, als sein Gegenstück, ist dieses Projekt meiner Meinung nach, absolut nicht unterstützenswert. Ziel von punkvoter.com ist, wie bereits erwähnt, die Wiederwahl George W. Bushs zuverhindern und John Kerry zum Wahlsieg zu verhelfen. In punkvoter.com´s Argumentation wird Kerry als das kleinere Übel dargestellt. Hierfür George W. Bush und seine Politik dämonisiert und die Zeit vor Bushs Präsidentschaft glorifiziert werden. Aber war sie das? Mitnichten. Während Clintons achtjähriger Amtszeit, waren die USA zum Beispiel permanent an den verschiedenen Militär- und Kriegseinsätzen auf dem Balkan beteiligt. Das Militär war permanent irgendwo auf der Welt im Einsatz. Und ob Al Gore nach dem 11.9. eine großartig andere Außenpolitik vertreten hätte, als George W. Bush, bezweifele ich. Und John Kerry selbst, ist ebenfalls kein Friedensengel. So stimmte er im Senat für den Angriff auf den Irak. Eine Entscheidung, die er bis heute (23.10.04) öffentlich nicht bedauert hat. Zwar spricht er sich gegen die Todesstrafe aus, aber bei Terroristen will er eine Ausnahme machen. Statt eine kritische Haltung gegenüber Bushs ‚Patriot Act’ einzunehmen, kündigt er für den Fall seines Wahlsieges eine Erhöhung des Budgets für Innere Sicherheit an. Und seine permanente Herumreiterei auf seine Vietnamvergangenheit, dient ihm ausschließlich dazu, sich als ‚echten Kerl’ und Bush, der nie beim Militär war, als ‚Weichei’ darzustellen und dazu, handwerkliche Fehler in Bushs Militärpolitik zu bennen, die er (Kerry) als Mann ‚vom Fach’, natürlich nicht machen würde und natürlich revidieren wird, wenn er die Wahl gewinnt. Von einer etwaigen Antikriegspolitik ist Kerry soweit entfernt, wie nur irgend möglich. Und auch wenn die nächsten Bundesrichter von ihm benannt werden, sind es immer noch Richter, die für eine brutale Justiz stehen. Wieso er das „kleinere Übel“ sein soll, bleibt mir schleierhaft.
Er schaut halt nicht so tölpelhaft aus wie George W. Bush und weil er smarter aussieht wie Bush, wird er seine Politik wahrscheinlich besser verkaufen können. Wenn man die Wahl zwischen zwei Übeln hat, dann sollte man doch keines wählen, und nicht das kleinere!
Was den meisten wahrscheinlich nicht (mehr so?) geläufig ist, das es 2002 ähnliches im Vorfeld der Bundestagswahl gab. Zwei Kanzlerkandidaten, die sich im Grunde nur durch ihr Aussehen – hier der smarte Schröder, dort der bauernhafte Stoiber – unterschieden. Politisch gesehen , waren (und sind) die Unterschiede beider, eher marginal. Und Initiativen/ Webseiten, die es sich zum Ziel setzten, einen Bundeskanzler Stoiber zu verhindern, da dieser im Vergleich zu Schröder das schlimmere Übel gewesen sei, gab es auch in Deutschland genug. Also war damals alles nicht viel anders als heute in den USA?
Mit diesem Hintergrund im Kopf , kam mir die Idee, ein kleines Interview mit dem Macher der Seite www.stoiber-nein-danke.de (heute zu finden unter: http://www.bildungsluecke.de/stoiber) über seine damaligen Beweggründe und wie er das ganze heute, zwei Jahre nach der Bundestagswahl sieht, zu machen.

Here we go!

Was hältst Du von ‚punkvoter.com‘ und ‚conservativepunk.com‘? Und was hältst du generell von dem Versuch der US-amerikanischen Punkszene, sich durch diese Seiten in den US-Präsidentschaftswahlkampf einzumischen?

Ich finde den Versuch, sich in den Wahlkampf einzumischen, sehr gut. Denn meiner Meinung nach war und ist Punk schon immer eine politische Bewegung gewesen. Mit Politisch ist dabei keine Partei- oder ideologisch geprägte, sondern eher eine gesellschaftskritische Politik gemeint. Aber – und das ist wichtig – Punk war schon immer eine soziale und damit linke Bewegung: und deswegen würde ich die Bush-Gegnern (punkvoter.com) unterstützen und halte nichts von den Bush-Anhängern (conservativepunk.com). Punk und konservative (rechte) Politik schließen sich aus. Punks, die Bush mit seiner aggressiven nationalistischen und christlich-fundamentalistischen Politik unterstützen, haben nichts von der Punk-Idee verstanden. Das sind Menschen, die Punk als Spielart der Rock-Musik sehen, die mit Punk-Musik Geld verdienen wollen, denen diese Musik bestimmt auch gefällt; aber das sind keine Punks. Und deswegen sollte man diese Leute aus unserer Szene rausschmeißen, indem man keine ihrer Platten kauft, nicht auf diese Konzerte geht etc. Denn irgendwo müssen wir Grenzen ziehen. Ich will keine Punks in der Szene haben, die Anhänger der PBC (Partei Bibeltreuer Christen) oder der DVU / REPs sind. Nur „Nazis raus“ als gemeinsame Basis ist halt ein bißchen wenig, um unsere Szene sauber zu halten.
Aber schließlich bin ich bei diesem Thema auch vorbelastet, denn mit unserem Stück „Stoiber darf nicht Kanzler werden“ und der Internet-Seite „Stoiber-NeinDanke.de“ haben wir bei der Bundestagswahl 2002 das gleiche versucht

Wie kam es von dem Gedankengang „Stoiber darf nicht Kanzler werden“ zum Erstellen und Betreiben der ‚Stoiber-NeinDanke.de’-Seite?

Wir bekamen auf unseren Konzerten immer viel Zuspruch für „Stoiber darf nicht Kanzler werden“, also machten wir diese Seite, um mehr Menschen zu erreichen. Und wir wollten eine Seite machen, die Stoiber bekämpft, aber nicht in dieser ‚linken Sprache‘, wo man ein Fremdwörter-Lexikon braucht, um etwas verstehen zu können. Es sollte eine Seite sein, die punkrock-kompatibel ist und kein intellektuelles Gewichse.

Stoiber hat die Wahl ja denkbar knapp verloren, so dass es ja sein könnte, dass eure Seite die Wahl maßgeblich beeinflusst hat. Wie hast Du Dich nach Stoibers Wahlniederlage gefühlt?

Wir haben uns gefreut, dass Stoiber verloren hat, aber wir haben uns nicht als Retter der Nation gefühlt. Ich glaube auch nicht, dass es an uns lag. Aber mehr dazu später (Frage 10)…

Es war ja lange Zeit unklar, wen die CDU/CSU als Kanzlerkandidat ins Rennen gegen Schröder schickt. Hättest Du die Seite auch gemacht, wenn Angela Merkel Kanzlerkandidatin der CDU/CSU gewesen wäre?

Nein, sicher nicht. Grund für unser Engagement gegen Stoiber war die Person Stoiber, nicht seine Parteizugehörigkeit. Ich denke zwar, dass eine rot-grüne Regierung besser ist als eine schwarze, aber nicht soviel besser, um sich dafür zu engagieren. Stoibers frühere Sprüche wie die von einer ‚durchrassten‘ Gesellschaft waren für uns ausschlaggebend.
Wir sind bestimmt keine Merkel-Anhänger, aber eine Frau als Bundeskanzlerin wäre für die weitere Gleichberechtigung von Frauen bestimmt hilfreich gewesen. (Formal sind Frauen ja gleichberechtigt, aber in der Praxis sieht das doch ganz anders aus.) Aber nur weil Angela Merkel eine Frau ist, werde ich kein CDU-Mitglied. Und in den letzten beiden Jahren hat sie ihr wahres politisches Gesicht gezeigt, und das ist auch nicht schöner als das von Stoiber, Koch und Co…

Im Info Eurer Seite stand ja, dass Ihr mit der Seite einen weiteren Rechtsruck innerhalb der deutschen Gesellschaft verhindern wolltet. Aber glaubst du wirklich, dass es nach dem Kosovokrieg, Anti-Terrorgesetzen, generellem Inneren Sicherheitswahn nicht schon eh ein unglaublicher Rechtsruck in der Politik einsetzte und dieser von Stoiber nur schwer zu überbieten gewesen wäre?

Ich befürchte immer noch, dass eine Regierung aus Union und FDP einen weiteren Rechtsruck und den weiteren sozialen Abstieg vieler Menschen bedeutet. Wäre Stoiber Bundeskanzler geworden, stünden heute auch deutsche Soldaten im Irak, würde die soziale Schere noch weiter auseinander klaffen. Und das gleiche gilt auch für eine Kanzlerin Merkel.

In Eurem Info steht zwar, das Ihr keiner Partei angehört und auch keine Partei unterstützen wollt, aber es wird Euch ja schon irgendwie klar gewesen sein, dass Ihr Euch, wenn Ihr Leute davon abgebracht habt, Stoiber zu wählen, zum Steigbügelhalter der SPD gemacht und Schröder zu einer zweiten Amtszeit verholfen habt, da jede Stimme, die Stoiber weniger bekam, eine Stimme mehr für Schröder war.

Ja, das war uns schon klar. Deswegen haben wir auch darauf wert gelegt, unsere Unabhängigkeit des öfteren zu erwähnen.
Aber ich bin doch der Meinung, dass eine rot-grüne Regierung einer schwarzen vorzuziehen ist. Man muss sich nur die bayrischen Verhältnisse vor Augen halten. Möchtest Du so leben? Ständige Polizeikontrollen, Personenüberprüfungen und andere Schikanen… Für mich wäre das nichts, und deswegen fahre ich auch so selten nach Bayern. Doch man kann es auch anders sehen: Vielleicht wäre eine rechts-konservative Regierung für die Punkszene gut. Eine neue Politisierung der Punks könnte die Folge sein, ähnlich den 80ern in England unter der „Eisernen Lady“ Thatcher. Wer weiß???
Warst du wählen?

Ja.

Jetzt, zwei Jahre nach der Wahl, nach Sozialabbau, Hartz IV, Verschärfung der Inneren Sicherheit etc, würdest Du solch eine Seite für die nächste Bundestagswahl noch einmal machen?

Nein, wahrscheinlich nicht. Zum einen ist es schweineviel Arbeit, und ich habe keinen Bock, irgendwelchen Dummpunx eine Plattform zu bieten, zum anderen ist es sinnlos, mit Punx über Politik zu diskutieren.
Ich bin ja auch bei der ‚HeyPunk.de‘-Seite beteiligt, zwar geht es dort in erster Linie um Punk, nicht um Politik (auch wenn es sich nicht wirklich trennen lässt), und viele unserer Beiträge sind eher satirischer Natur, aber wenn Du Dich im Forum umsiehst, ist auch da das Niveau unter aller Sau. Gut, es sind viele Kiddie-Punx dabei, und in dem Alter hat man noch andere Interessen, aber es stimmt mich schon traurig, was die so unter Punk verstehen. (Aber vielleicht ist es auch unsere Schuld, denn vom Design her wirkt die Seite wirklich etwas kindisch…)

Bist du sonst irgendwie politisch aktiv?

Nein. Aber ich studiere Politik – und das schon seit 10 Jahren…

Du selbst bist ja Punk aus Leidenschaft. Weißt du, aus welcher Ecke zum Großteil die Zugriffe auf Eure Seite kamen? Aus der Punkrockecke oder eher von ‚normalen’ Leuten?

Am Anfang kamen die Besucher hauptsächlich aus der Punk-Ecke, sprich: sie fanden uns über Bands, die uns unterstützt bzw. verlinkt haben. Abgesehen von Hans Söllner waren es ausschließlich Punk- und Oi!-Bands – dementsprechend die Besucher. Allerdings waren deren Beiträge größtenteils dumm und platt, wie man im Forum und bei den Leserbriefen sehen kann. Ich fand es sehr enttäuschend, denn ich hatte gehofft, dass es im Punk mehr intelligente und politische interessierte Menschen gibt; dass in dem Forum sinnvoll über die Wahl, aber auch Politik allgemein diskutiert werden würde. Leider hatten die Dummspacken die Mehrheit gehabt und die wenigen sinnvollen Diskussionen schnell abgetötet. Letztlich sind die wenigen schlauen Menschen auf andere Foren ausgewichen, und unser Forum wurde von den Dummpunx dominiert. Ab und an kamen auch Nazis auf unsere Seite, vielleicht waren es auch nur Punx und Skins der ‚unpolitischen‘ Fraktion.
Später kam es zu einem Netzwerk vieler Anti-Stoiber-Seiten, so dass sich deren Publikum mischte. Aber wer diesem Zeitpunkt einen Blick ins Forum oder auf die Leserbriefe warf, klickte sich schnell wieder weiter auf eine intelligente Seite.
Das gleiche traf zu, als der Spiegel uns in einem Bericht erwähnte und verlinkt hatte. Viele neue ‚normale‘ Besucher, aber die meisten waren von der Dummheit unserer Hauptbesucher abgeschreckt.

Warum wurde Euer Forum nicht moderiert und Postings mit nationalistischem, rassistischem Dreck nicht gelöscht?

1. Zeitmangel
2. Ich mag keine Zensur und war der Meinung, dass sich viele der nationalistischen, rassistischen Beiträge selbst ins Abseits stellten. Die Leute sollten sehen, was für Einstellungen manche dieser ‚unpolitischen‘ Leute so erkennen lassen.
3. Frust!!! Ich hatte keine Lust mehr, mich an diesen dämlichen ‚Diskussionen‘ zu beteiligen, diese überhaupt zu lesen und irgendwie einzugreifen.

Zum Abschluß noch ein Zitat von Hanna Arendt: „Die Politik des kleineren Übels hatte seit eh und je die fatale Tendenz, das große alte Übel festzuhalten und so auf neue größere Übel vorzubreiten. Indem man aus Angst vor dem größeren Übel das kleinere Übel in etwas Gutes umlügt, treibt man dem Volk das Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse allmählich aus. Mit Menschen aber, die gewöhnt sind, Übel zu akzeptieren, statt ihnen zu widerstehen – und sei es unter der Vorgabe, größere Übel zu vermeiden – kann man keine Politik machen.“ Wie siehst Du das, können Wahlen einen emanzipatorischen Effekt haben? Können Wahlen zum ‚Schönen Leben’ führen?

Tja, eine schwierige Frage. Theoretisch mag Hanna Arendt recht haben. Aber ich habe es aufgegeben, unsere Gesellschaft im Ganzen ändern zu wollen. Das wäre utopisch. Es ist schon richtig: Rot-Grün ist das kleinere Übel, und ich halte wenig von deren Politik. Aber was ist die Konsequenz von Arendts Aussage? Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient? Das hatten wir leider schon mal, und es gibt immer noch Menschen, die rechtsextrem wählen. Wahlen haben keinen emanzipatorischen Effekt. Ich glaube, das liegt vor allem an der Dummheit der meisten Menschen, vielleicht auch nur an ihrer Unwissenheit oder Desinteresse. Die meisten Menschen wählen diejenigen, von denen sie materiell am meisten erwarten. Versprich ihnen Steuersenkungen, dann haben sie mehr Geld in der Tasche und sie wählen dich. Dass aber bei Steuersenkungen der Großteil der Menschen nur 50 Euros im Jahr mehr haben, während die wenigen Reichen 50.000 Euros mehr haben, raffen sie nicht.
Wir haben eine verhängnisvolle Symbiose aus Politik und Wirtschaft, in der die Wirtschaft einen zu großen Einfluß auf die Politik hat. Die Politiker versprechen den Wählern, was diese hören wollen, machen aber das, was die Wirtschaft will, und die Wähler blicken da nicht mehr durch – das liegt zum einen an der Komplexität der modernen gesellschaftlichen Strukturen und zum anderen an der Ungebildetheit der Wähler. Eigentlich müßte jeder Bürger mehr über Politik und die gesellschaftlichen Zusammenhänge lernen, und da reicht das Schulwissen nicht aus – weder bei Abitur noch bei Hauptschulabschluß. Wenn „Ausländer“ an Zwangskursen Deutsch teilnehmen müssen, sollten alle „Deutsche“ Zwangskurse in Politik belegen müssen. Ich glaube, dass wäre der sicherere Weg zu einem „schönen Leben“ als auf einen emanzipatorischen Effekt durch Wahlen zu hoffen. Ob das aber politisch durchsetzbar ist, bezweifele ich, denn welcher Politiker will mündige Bürger, die ihnen auf die Finger schauen…

Vielen Dank für das Interview. Hast du noch irgendwelche letzte Worte?

Das Thema Politik ist so weit und vielfältig, man könnte zu jedem der Themen ‚soziale Gerechtigkeit‘, ‚Krankenversicherung‘,‚Anti-Terror-Gesetzgebung‘, ‚Steuerrecht‘, ‚Überalterung der Bevölkerung‘, ‚Generationengerechtigkeit‘,‚Hartz IV‘ usw. usf. jeweils ein ganze Fanzine-Reihe vollschreiben, darf darüber hinaus auch nicht die Philosophischen Konsequenzen der ‚Stammzellenforschung‘ oder ‚Gentechnik‘ vergessen, und auch die Internationalen Problemfelder wie ‚Nord-Süd-Konflikt‘ und ‚Armut in der 3. Welt“ sind immens wichtig – insofern war dieses Interview nur ein kleiner Abriß all dessen.
Lösungen kann ich natürlich auch keine anbieten, hoffe aber, dass vielleicht der eine oder die andere über den Punk-Tellerrand schaut und erkennt, dass Punk doch mehr ist als Saufen. Lest, interessiert Euch, bildet Euch, nur dann könnt Ihr mitreden und vielleicht etwas ändern – und wenn es nur in Eurem kleinen Umfeld ist, es ist immerhin ein Anfang… Es geht um unsere Zukunft, No Future ist out.
Eine Bitte noch: werdet nicht verbissen, vergesst nicht den Spaß dabei, denn PC-Wixer und Anti-Deutsche gibt es schon zu viele…
Ich hoffe, ich habe niemanden mit meinem erhobenen Zeigefinger vergrault, aber mir geht ein großer Teil der heutigen Punkszene auf die Eier. ‚Unpolitisch‘ gibt’s nicht, und Bands wie Cotzraiz sind zum Kotzen, da sie die Sprache des 3.Reiches benutzen. Patriotismus ist Scheisse, und die ewige Gleichsetzung Rechtsfaschismus mit Linksfaschismus ist dumm und platt.
Konservative Punks sind keine Punks!!! Punk ist mehr als Mode und Styling!!!
Und damit wären wir wieder am Anfang…

Written by Falk Fatal

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