PUNKS NOT DEAD – IT ONLY SMELLS LIKE EAU DE TOILETTE

Donnerstagabend 9.9: Ich sitze im Schlachthof hinter meinem kleinen Stand und versuche ein paar Buttons und Schallplatten an den Mann bzw. die Frau zu bringen, während im Hintergrund Bouncing Souls ihren Abifeten kompatiblen Punkrock darbieten. Die halbe Halle des Schlachthofs ist voll mit zumeist stylishen und hippen jungen Menschen. Diese decken sich an den Merchständen der Bands mit T-Shirts, Kappen, Aufklebern und Pullovern ein. Und an meinem Stand wird dann die restliche Kohle in Buttons investiert. Auffällig ist, das man nur ganz vereinzelt junge Menschen mit einem Tonträger im Arm sieht. Ich verkaufe ganze zwei Schallplatten an diesem Abend.
Und während ich dem bunten Treiben meine Aufmerksamkeit schenke, stelle ich irgendwann verwundert fest, wie häufig ich mir denke, sie oder er, wird mir in zwei Jahren in der bank gegenüber stehen und mir mitteilen, das mein Dispo überschritten ist und mir kein neuer gewährt wird.

Samstagabend, 11.9.: Ich sitze am Eintritt des ‚Punk aus Hesse’ Festivals im HDJ Mainz und erkläre, mittlerweile bestimmt dem fünzigsten jungen Punk, das er oder sie, mit einem spiegelverkehrten Stempelaufdruck nicht in den Konzertraum des HDJs hineinkommt. Es spielen sechs Bands an diesem Abend, der Eintritt beträgt fünf Euro. Auffällig ist, wie viele der abgewiesenen Punks es versuchen, fünf Minuten später, erneut, unter Vorzeigen des spiegelverkehrten Stempels, in den Konzertraum zu gelangen und mich dabei beschimpfen.
Und während ich versuche dem 51. Punk zu erklären, das er oder sie, fünf Euro Eintritt zahlen muß und ein spiegelverkehrter Stempel nicht reicht, um sich das Konzert anschauen zukönnen, stelle ich irgendwann verwundert, wie häufig ich mir denke, sie oder er, wird mir in zwei Jahren in der bank gegenüber stehen und mir mitteilen, das mein Dispo überschritten ist und mir kein neuer gewährt wird.

Montagabend, irgendwann später: Ich sitze an meinem Schreibtisch, trinke ein Bier und versuche irgendwas intelligentes zu dem Erlebten niederzuschreiben…

Beide Fälle sind Beispiele für eine immer krasser voranschreitende konsumgeilheit und kommerzialisierung innerhalb der Subkultur called Punk.
Im ersten Beispiel ist Punkrock bloß noch eine neue, hippe und pseudorebellische Modelinie von H&M. Im zweiten Beispiel ist Punkrock im besten Fall ein vulgäres CNN für Trinker, im schlechtesten Fall ein Bezirkstreffen des Deutschen Trinksportverbands. Einen Hauch von Rebellion, fern von Inhaltsleere, sucht man in beiden Fällen vergebens.
Und wirklich peinlich berührt war ich, als ich einen dieser jungen Punks, in (seiner?) Kotze, auf dem Boden liegend, sah, und dessen leberbejackter Rücken ein Fadenkreuz mit dem Spruch: ‚Schieß doch Bulle’ zierte. Ich fragte mich, warum der Bulle schießen sollte? Auf Gegenwehr würde er bei diesem jungen Punk, sowieso nicht mehr stoßen.
Und mit dem Erhalt alternativer Strukturen, legen die jungen Menschen aus beiden Beispielen, ebenfalls keinen Wert. Während sich die jungen Menschen aus dem ersten Beispiel, nicht einmal bei DIY- Veranstaltungen blicken lassen, sind die jungen Menschen aus Beispiel zwei, nur gewillt, diese zu unterstützen, wenn es nichts kostet. Zeit, Geld oder Enthusiasmus, sie haben von allem nicht genug, um davon etwas abzugeben. Oder sie wollen es nicht?

Das Business ist endgültig angekommen im Punkrock.

Durch das Aufkommen von Punk´n´Roll und der Umbenennung von Oi in Streetpunk, fand eine extreme Professionalisierung und Kommerzialisierung von Punkrock statt. Durch eine weitgehende Entpolitisierung der Musik und deren Inhalt; durch eine weitgehende Reduzierung auf Alltag, Alkohol und Beziehungsdramen, war es möglich, Punkrock im alternativen Mainstream zu positionieren. Ist aber erst einmal der politische oder antipolitische Anspruch verflogen, steht der Wandlung von Punkrock zur härteren oder alternativen Rockmusik nichts mehr im Wege. Punkrock ist zu einem verkaufsfördernden Image verkommen. Ein bisschen rebellisch, ein bisschen Underground und schon lässt sich damit prima Werbung machen. Firmen wie Eastpack oder Vans verkaufen mehr Produkte, indem sie Punkbands, CDs oder gleich komplette Festivaltouren sponsoren. Sondereditionen wie die Social Distortion Sonderedition von Vans sichern dem/der KäuferIn ein super exklusives Image (der Schuh ist natürlich nur limitiert), der Band Geld und der Firma noch mehr Geld.
Überhaupt ist ein Trend zur Festivalisierung erkennbar. Mensch mietet eine große Halle und alles was nicht schnell genug auf den Bäumen ist, wird zusammen gepackt und auf einem gedruckten Vierfarbflyer verewigt. Aus möglichst vielen Subszenen sollten die Bands schon sein, damit auch wirklich viele Leute kommen. Da dies alles natürlich einiges kostet, bewegen sich die Eintritts- und Getränkepreise auf dem Niveau normaler Rockkonzerte. Dann wird noch ‚United’ draufgeschrieben und fertig ist das ‚Punkevent des Jahres’.
Auch gehen bekannte Bands fast nur noch mit zwei, drei anderen Bands, gemeinsam auf Tour. Vorbei scheinen die Zeiten, das eine Band, die auf Tour ist, allerhöchstens eine weitere Band dabei hatten und die lokalen Veranstalter nach einem weiteren, meist lokalen, Support schauen mussten. Stattdessen gibt es gleich komplette Festivaltouren, wie ‚Rohe Weihnachten’ und ‚Nikolaus Raus’ oder die armen Rucksäcke von Eastpack müssen gleich auf Resistance Tour gehen.
Und NOFX, eine Band, die 2002 noch verlangte, das die Hamburger, die sie auf ihrer Cateringliste anforderten, unbedingt von McDonalds oder Burger King zu sein haben, wird heutzutage als superpolitisch abgefeiert, weil ihre letzte Platte George Bush und dessen Außenpolitik kritisiert. Ich frage mich, was mir diese Band erzählen soll. Aber da ist es wenig verwunderlich, das Fat Mikes Projekt ‚punkvoter.com’ als politisches Nonplusultra gefeiert wird. 2004 macht Punkrock Realpolitik und fühlt sich gut damit. Schließlich wählt sich Punkrock zwischen all den Übeln das kleinste aus. Alle Übel abzulehnen und diese bekämpfen zu wollen, ist zu kleinkariert und wird abgelehnt.
Seidem 11.9. und dem damit verbundenen Wandel der US-amerikanischen Außenpolitik,lässt sich eine ‚Re-Politisierung’ des Punkrocks beobachten. Das ist in den USA selbst mit Sicherheit zu begrüßen, bei deutschen Bands wirkt das allerdings oftmals befremdlich, wenn auf Konzerten, nach jedem zweiten Lied „Fuck Bush“ gerufen wird und wenn Song über Song, der die Dummheit George W. Bushs zum Inhalt hat, geschrieben und gespielt wird.. Bush ist blöd. Dabei bleibt es. Kritik am kapitalistischen System, das immer wieder Figuren wie George W. Bush hervorbringt, sucht mensch vergebens. Und ich habe noch nie mitbekommen, das irgendeine Band, auf irgendeinem Konzert, das ich besucht habe, gerufen hätte „Scheiß Schröder“, oder ein Lied so angekündigt oder sogar ein Lied mit diesem Inhalt gespielt hätte. Aber warum auch. Kritik an den USA und George W. Bush sind en vogue. Mit Kritik an Deutschland kann mensch sich schnell unbeliebt machen. So etwas will niemand hören. Es ist ja auch alles besser jetzt. Nicht mehr so wie früher. Zum Glück sind die USA und George W. Bush weit weg. Da ist Kritik rebellisch und hip und mensch tut damit niemandem weh. So ein bisschen Antiamerikanismus ist schon toll, anders, aufgeklärt und rebellisch. Und irgendwie ist mensch plötzlich mitten in der Gesellschaft.
Reaktionäre und nationalistische Bands, wie z.B. Dropkick Murphys, werden abgefeiert. „Die sind ja auch nicht so schlimm. Sind ja keine Nazis.“ Aber sie unterstützen, konservieren und verbreiten den ganzen reaktionären, patriarchalischen und nationalistischen Dreck, der seinen nicht unerheblichen Teil dazu beiträgt, das diese Welt so beschissen ist wie sie ist.
Punkrock ist nur noch eine Hülle, in die man am Wochenende schlüpft, um montags in der Schule oder im Betrieb erzählen zu können, wie rebellisch mensch am Wochenende doch wieder war. Konservative Werte sind plötzlich wieder hip!
Jede fünftklassige Band versieht ihre Demo CDs mit Businesspromobriefchen, die einem Tränen der Verzweifelung in die Augen treiben. Seit wann bitteschön ist es Punkrock, beim Jugend rockt! Wettbewerb der Stadt Kleinkleckersdorf, den dritten Platz zu belegen? Aber immerhin lief das selbstproduzierte Video von „I´m so mittelmäßig“ zweimal beim Offenen Kanal Mainz! Und wer ein Konzert mit ihnen machen möchte, der oder die, kann sich ja bei der Booking Agentur der Band melden. Und für alles andere, kann mensch ja das Management kontaktieren. Von DIY haben diese Bands noch nie gehört. Wie auch? Nachts lief ein Video von den Backyard Babies und in der Visions war ein toller Artikel und so rebellisch muß es sein. Damit es für den Erfolg reicht. Und einen Festivalgig am frühen Morgen oder zwei Supportgigs für eine Band aus dem Visions, Ox, Intro oder Plastic Bomb. Weil früh sich übt, benehmen sich die künftigen Rockstars auch so, als ob sie schon 3278457 CDs verkauft hätten, und nicht erst 247 Stück. Innovativ muß die Musik nicht sein. Eigenständig natürlich auch nicht. Das ist alles nicht so wichtig. Hauptsache das Logo ist cool und die T-Shirts verkaufen sich. Die Pose ist die Position.
Punk´s not dead, they only smell like Eau de toilette.
Natürlich ist dies alles zu allgemein und zu verkürzt dargestellt. Natürlich gibt es noch die, und die, und die korrekte Band, die was zu sagen hat und den ganzen Mist nicht mitmacht. Natürlich gibt es noch die, und die, und die korrekte Subszene, in der alles besser und unkommerzieller und widerständiger läuft. Und natürlich gibt es noch viel mehr, was ich beachten müsste. Ist denn alles was ich mache anders und besser? Trifft das, was ich kritisiere, nicht auch auf mich zu? Hab mich mit alledem schon arrangiert? Wahrscheinlich. Aber spielt das noch eine Rolle?
Das Gefühl der Bedrohung löst Punkrock bei niemandem mehr aus.
Schade eigentlich.

Written by Falk Fatal

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