„ICH MACHE ROCK’N’ROLL, DAMIT MÄDCHEN MICH KÜSSEN“

Es gibt so unglaublich viele Bands bei deren unausgereiften Langspielern oft nur das Titelstück und gerade noch das Outro einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Alte, heute abgefeierte Combos brachten, wohl in Bewusstsein dessen, oft lieber nur eine einzige richtig überzeugende Single raus. Es sind erstaunlich wenige Musiker die über mehrere Jahre und Platten hinweg begeistern können. Die seltenen Ausnahmen kann jeder wohl an ein bis zwei Händen abzählen.Was dem Einen die Ramones und der Anderen die Clash oder von mir aus auch die Beatles, sind bei mir M.O.T.O.!

Vor einiger Zeit drangen  die Klänge der „ Masters Of The Obvious“ zum ersten Mal  an mein Ohr und seitdem, dumme und ungebildete Menschen werden nun lachen, bin ich geradezu verliebt in diese Band. Jeder gottverdammte Song ist ein Ohrwurm und jeder Einzelne blieb in meinen Gehörgängen kleben wie Spidys´ Netz an Superschurken. Die Stücke sind so eingängig wie auch extrem poppig und trotzdem dreckig und rotzig.

Leider ist das Hören aller Aufnahmen von M.O.T.O. nicht ganz einfach. Nach ihrer Gründung 1981 in New Orleans nahmen sie jahrelang nur Tapes auf, die Sänger Paul Caporino zur Zeit digitalisiert.

1987 trieb es ihn nach Boston, für die Band der Beginn des immensen Outputs an 7inches, quasi ein ganzer Arsch voll, und einiger LP´s. Diese älteren Singles lassen sich nicht etwa für Unsummen ersteigern, nein, es gibt sie einfach nicht mehr und loswerden will sie sowieso niemand mehr.  Criminal IQ Records veröffentlichte eine als „Single File“ benannte CD auf der alle Singles, EP´s und ein Compilation Track von 1988 – 1994  hörbar sind. Idioten würden wohl von einem „must have“ sprechen.

Zwei Jahre später landeten M.O.T.O. in Chicago, wo sie seit dem leben und mit beatlesartigen Melodien oder auch krachigem Garage Punk ihrer Musik eine fast schon aphrodisierende Note verleihen. Zumindest für mich und die überschaubare Menge am 1. Mai im White Trash in Berlin.      Meine Begleiter, Denis und Jana, vergaßen ihre Liebe und gaben sich völlig hemmungslos der Band hin. Nie zuvor erlebte ich ein Konzert bei dem jeder der Anwesenden glücklich strahlt, mitsingt und die aufgesetzte coolness an der Theke zurücklässt und einfach tanzt. Unglaubliche Atmosphäre. Ich bin mir nicht sicher ob allein Schweiß die zuckenden Körper benässte, ich vergoss auf jeden Fall  literweise Freudentränen.

Sänger und Gitarrist Paul ist über all die Jahre das einzige, ständige Mitglied von M.O.T.O.  Er hält wohl auch die meisten Fäden in den Händen und wird daher gern als Mastermind bezeichnet. Mich nervt dieser Ausdruck, ich werde ihn nicht benutzen. Lieber nenne ich Paul einen großartigen Musiker und einen verdammt sympathischen Menschen noch dazu. Das Interview führte ich Anfang August, leider nur via E-Mail. Ein persönliches Gespräch ist sicher immer tief gehender und intensiver, könnte aber durchaus eine Rahmensprennung dieser Heftchens verursachen. Viel Spaß damit.

WANN BEGANNST DU MUSIK ZU MACHEN UND GAB ES  ANDERE BANDS VOR DER ZEIT MIT M.O.T.O.?

Als Teenager fing ich mit der Musik an. Ich spielte in New Orleans in ein Paar anderen Bands bevor wir M.O.T.O. gründeten, viel mehr als vereinzelte Gigs in lokalen Clubs kam aber nie dabei heraus.

IST ES RICHTIG, DASS DU DAS LETZTE MITGLIED DES URSPRÜNGLICHEN LINE-UPS  DER BAND BIST?

Ja, das ist so. Die anderen drei original M.O.T.O.’s, Mike Tomeny, Jeff Tomeny und Donald Ward, leben alle immer noch im Umkreis von New Orleans.

IHR HATTET UNGLAUBLICH VIELE BESETZUNGSWECHSEL. WAS MACHST DU MIT ALL DEN JUNGS?

Was ich mit all den Jungs mache? Na ja, die Zeit vergeht eben und aufgrund von Hochzeit, Kindern oder Arbeit verlassen einige die Band. So ist das eben. Ich versuche aber mit den Meisten in Kontakt zu bleiben. Manche kann ich nirgends finden.

WUSSTEST DU, DASS SELBST DIE COOLSTEN TOUGHGUYS WEINEN UND SICH KÜSSEN WÄHREND SIE M.O.T.O. HÖREN?

Mmmmh. Ich hatte niemals bedacht das so etwas passieren könnte. Ich mag es wenn du das  sagst, aber es ist ihre Sache. Eigentlich fing ich mit Rock’n’Roll an damit Mädchen MICH küssen wollen.

BEI EUREM GIG IN BERLIN WAREN NUR KNAPP 50 BESUCHER. FÜR MICH WAR ES GROSSARTIG. AUCH ALLE ANDEREN SCHMOLZEN DAHIN.

Ich dachte es waren mehr als 50 Leute bei unserer Berlin-Show, aber wahrscheinlich liege ich falsch, ich war sehr betrunken. Es war auf jeden Fall eine lustige Nacht.

WIE IST IN DEN USA DIE RESONANZ BEI M.O.T.O. – GIGS?

Sie ist o.k., wir sind noch immer nicht besonders groß oder bekannt. Ich würde gerne mehr Shows spielen, auch mal vor mehr Zuschauern, aber ich bin sehr, sehr faul. Meine Faulheit ist der Hauptgrund dafür, dass wir nicht so reich oder berühmt sind wie Green Day oder die White Stripes.

WER WAREN DIESE JUNGS AUF DER BÜHNE IN BERLIN? HERMANN THE GERMAN, ODER SO?

Der Bass – Spieler war Dennis Spaag, er spielt mit mir seit 1994. Er und seine Frau haben jetzt einen kleinen Jungen, deshalb ist er zur Zeit nicht in der Hauptband. Aber er kam zu uns nach Europa um die letzten acht Gigs der Tour zu spielen. Die drei Jungs mit denen ich normalerweise auf der Bühne stehe, JJ Champion, Ryan Guitar Murphy und Laurence Museum of Death, hatten nicht mehr genug Urlaubstage und musste leider zurück in die Staaten. Roman, von  Redondo Beat in Deutschland war unser Austauschdrummer für diese Acht Shows. Ich entschied ihn für die Tour „ Roman the German“ zu nennen. Er ist ein großartiger Rock’n’Roll – Drummer und ein sehr lustiger Typ. Hoffentlich können wir nächstes Mal auch wieder mit ihm spielen.

IST IRGENDETWAS VERRÜCKTES ODER LUSTIGES AUF DER TOUR GESCHEHEN?

Oh je, da gab´s ´ne ganze Menge. Einiges kann ich hier gar nicht erzählen, weil ich den Betroffenen keinen Ärger einhandeln will. Aber während wir in St. Etienne in Frankreich waren gab uns ein Barkeeper einen Moonshine mit einer toten Viper im Glas. Er war verdammt stark und sehr lecker, ich wusste nicht, dass die Franzosen einen derart großartigen Moonshine drauf haben. Ich muss nächstes mal unbedingt zu dieser Bar zurück um mehr davon zu trinken.

Na ja, und in Göteborg in Schweden war die Menge ziemlich verrückt. Sie wollten irgendwann nur noch „ I hate my fucking job“ hören, wir mussten es acht mal hintereinander spielen, ich war irgendwann so heiser und gab ihnen das Mikro. Es war ein toller Abend.

WIE OFT WART IHR BEREITS SCHON IN EUROPA UND WANN KOMMT IHR UNS MAL WIEDER BESUCHEN?

Drei mal waren wir bis jetzt in Europa und hoffentlich kommen wir bald wieder. Am liebsten würde ich sofort vorbeikommen.

ALLE DREI TAGE VERÖFFENTLICHT IHR EINE NEUE SINGLE AUF EINEM ANDEREN INDY-LABEL.

Nicht wirklich, obwohl es mir auch manchmal so vorkommt. Ein großes Durcheinander.

HATTET IHR JEMALS BOCK AUF EINEN MAJORDEAL UND DIE GROSSE INDUSTRIE UM MIT EURER MUSIK REICH ZU WERDEN?

Ich wollte schon, aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher ob es eine gute Idee ist. Es wäre wohl ganz nett die T-shirts nicht mehr selbst herstellen zu müssen, das Booking und die Werbung könnten Andere übernehmen und wir müssten nicht mehr unser Equipment selbst schleppen. Davon leben können wäre schön, aber dann ist das auch wieder harte Arbeit und der Spaß geht vielleicht verloren. Außerdem bin ich sehr, sehr faul.

WARUM PRODUZIERST DU NEBEN ALL DIESEN 7INCHES DIESEN SACK VOLL TAPES? JUNGE, DUMME  LEUTE KÖNNTEN DICH FÜR EINEN HÖHLENMENSCHEN HALTEN.

Das bin ich gerne. Aber ich habe seit ein paar Jahren kein Tape mehr aufgenommen. Ich liebe sie aber und das zu Hause Produzieren. Ich denke ich sollte wieder mehr davon rausbringen, aber wie ich bereits vorher sagte, ich bin sehr faul. Ich bin außerdem chronisch depressiv, leide unter Agoraphobie (Platzangst) und Motivation ist nicht gerade mein zweiter Vorname.

GIBT ES BANDS ODER KÜNSTLER DIE M.O.T.O. BEEINFLUSST HABEN?

Als ich drei Jahre alt war, im Februar 1964, sah ich die Beatles in der Ed Sullivan Show. Meine damals vierzehnjährige Schwester und ihre Freundin Patsy schrieen pausenlos den Fernseher und die Beatles an. Das beunruhigte meinen Vater sehr und sie mussten leise sein. Sie probierten es einfach mal mit zuhören, waren aber immer noch sehr aufgeregt. Das ist eine meiner allerersten Erinnerungen.

…UND WAS FÜR EINEN SOUND HÖRST DU ZU HAUSE?

Hmmmmm, gestern hörte ich mir Lee Hazlewood an weil ein Freund mir erzählte er sei gerade gestorben. Danach ´ne alte  Joan Jett Single,die hier so herumlag. Ich mag Joan Jett, Ich wünschte sie würde einen meiner Songs spielen. Laute Rockmusik höre ich nur wenn ich aufstehen muss. Sich Motörhead oder die Ramones reinzuziehen ist wie ´nen richtig starken Kaffee zu trinken.

WAS HÄLST DU VON ANDEREN AMERIKANISCHEN BANDS, WIE Z.B. DIE CASUALITIES, DIE SELTSAMERWEISE ÜBERALL SEHR BELIEBT UND ERFOLGREICH SIND?

Die Casualities mussten sehr hart arbeiten und dafür respektiere ich sie, aber ihre Musik kenne ich nicht. Ich bin vielleicht zu alt um das richtig einschätzen zu können, ich bin jetzt sowas wie ein Großvater. Ich mag nur Sachen von früher, Zeug aus den Siebzigern und Achtzigern.

WAS DENKST DU ÜBER „ROCK AGAINST BUSH“ UND DIESE „PUNK-VOTER“ GESCHICHTE?

Ich finde das sehr gut. In Amerika wird nun mehr als vor 25 Jahren unternommen, um junge Leute aufzuklären. Ich würde sagen, dass junge Amerikaner heute besser bescheid wissen als unsere Generation, als wir 18 oder 20 waren. Und das ist gut für sie, du musst immer wachsam sein. Natürlich gibt es da draußen immer noch einen großen Scheißhaufen ignoranter Penner, wahrscheinlich werden die immer da sein. Aber diese Ignoranz muss man mit Wissen und Intelligenz bekämpfen, einen anderen Weg gibt es nicht. Einiges in Amerika läuft verdammt falsch und genauso falsch ist die Art wie Amerika mit der Welt umgeht. So können wir auf jeden Fall nicht weitermachen. Es wird große Veränderungen geben, hoffentlich zum besseren.

HAB IHR JEMALS VERSUCHT POLITISCHE STATEMENTS IN EURE SONGS EINZUBAUEN, ODER DENKST DU, DASS MUSIK UND POLITIK NICHT ZUSAMMEN PASSEN?

Ich habe schon oft probiert Statements in den Texten der Songs unterzubringen, aber es wirkt oft sehr krampfhaft und unterbricht dadurch den Fluss der Musik. Ich denke, als Schreiber und Komponist bin ich nicht gut genug um soetwas glaubwürdig rüberzubringen.

Aber es gibt großartige Musik die völlig ohne Worte auskommt. Von den europäischen Klassikern  und barocken Künstlern über die amerikanischen Jazzgrößen, über die ganze Welt verteilt gibt es fantastische, wortlose Musik. Aus Afrika, Asien, Südamerika, Australien und den ganzen Inseln – so verdammt viel Musik ohne Worte ( oder Worte die ich nicht verstehe ), die zugleich unglaublich und erregend ist. So viel Musik ohne Worte, der es einerseits gelingt dich zum heulen zu bringen und andererseits rennst du beim hören schreiend auf die Straße hinaus. Also konzentriere ich mich auf Energie, was auch immer Energie in der Musik darstellt. Einigen Leuten könnten meine Texte manchmal sinnlos vorkommen. Sie werden aber quasi von der Musik getragen, passen sich also den Klängen an. Wenn sich  jemand emotional darin wiederfindet macht mich das glücklich.

STIMMT ES, DASS DU IN EINEM PLATTENLADEN ARBEITEST? ICH DENKE ES IST EIN SUPER JOB, BESSER ALS ALLE DIE ICH BIS JETZT MACHEN MUSSTE.

Ja, ich arbeite in einem Plattenladen hier in Chicago. Er heißt Record Emporium. Wie auch immer, es sieht so aus, als würde der Laden bald dicht machen und den Kram nur noch per Internet verkaufen. Schaut euch ruhig mal unser Programm im Netz an: www.RecordEmporium.com.

EIN PAAR LETZTE WORTE FÜR DIE LESER DES GESTRECKTEN MITTELFINGERS?!

Ich denke ich hab´ schon eine Menge gesagt. Besucht unsere Homepage.

– this is Paul Caporino of M.O.T.O., saying cheers and auf Wiedersehen.

Das Interview führte Möb Maßlos. Es erschien 2008 im gestreckten Mittelfinger #5

Written by Falk Fatal

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