Von OXen und anderen Musikliebhabern

MIKA RECKINNEN HATTE VOR EINIGER ZEIT IN SEINEM ALLEINER THREAT ZINE SEINE MEINUNG ZU PUNK UND DOWNLOADS KUNDGETAN. AUSLÖSER WAR EIN VORWORT VON OX-CHEF JOACHIM HILLER, IN DEM DIESER ZIEMLICH ÜBER ILLEGALE DOWNLOADS HERGEZOGEN HATTE.
Anfang 2010 hatte ich für mein Zine „Alleiner Threat“ versucht, eine Diskussion um illegale Downloads anzukurbeln, was nur mit mäßigem Erfolg funktioniert hat. Daher bin ich recht dankbar, dass Falk mich gebeten hat, noch mal meinen damals an Joachim Hiller adressierten Brief zu aktualisieren und ihm zur Verfügung zu stellen.

Here we go:

Ausgangspunkt für den Beitrag um illegale Downloads und Piraterie im Punkrock war die Kolumne von Joachim Hiller im Ox, Nummer 82, Februar / März 2009. Unter der Überschrift „It’s the end of the world as we know it“ rechnete Joachim Hiller mit illegalen Downloadern ab und nahm dort, meiner Meinung nach, recht reaktionäre Positionen ein. Dies ist eine Antwort darauf, auch in der Hoffnung auf eine breitere Debatte. Das Missverständnis beginnt meiner Meinung nach schon früh. Joachim Hiller beklagt sich, dass zwar die Finanzkrise und die Krise der Musikbranche in aller
Munde sind, aber vor allem die Krise der kleinen (Musik-)Label völlig ignoriert
wird.

Er verweist auf die schlechter laufenden Geschäfte von „kleinen Labels“ wie „Alternative Tentacles, (…) Fat Wreck, People Like You, […], Sunny Bastards“ etc. Zahlen oder Belege bringt er leider nicht. Es handelt sich scheinbar um gängiges Wissen, doch provokativ könnte man nachfragen, ob der Grund des Vorworts vielleicht die Unwilligkeit der erwähnten Labels ist, weiterhin so viele Anzeigen im
OX zu schalten. Spekuliert werden darf zumindest, ob das der Auslöser für das
„Vorwort“ ist. Joachim Hiller meint also, dass diese „kleinen Labels“ durch die Downloads geschwächt werden und es an der Zeit ist, genau diese zu unterstützen.

Die erste Frage ist doch, wie geschwächt sind diese Labels? Wenn ich mir die Promo-Bemusterung einer ganzen Pankerknacker und Ox-Abonnenten-Auflage mit mittelmäßigem Oi-Punk anschaue, kann es zumindest um Sunny Bastard so schlecht
nicht bestellt sein. Die farbigen Anzeigen noch nicht einmal miteingerechnet. War mir das Label vor 5 Jahren noch relativ unbekannt, stolpere ich in den letzten zwei Jahren andauernd über ihren schlechten Oi-Punk. Auch People Like You (PLY) haben den Betrieb nicht eingestellt, sondern gehören zum Majorlabel Century Media. Da Majorlabel viel stärker als kleine Independent-Label auf Verkaufszahlen
setzen müssen, beweist das für mich, dass zumindest in ihrer Musiknische PLY nicht so schlecht dastehen können. Zwar haben sie, wie es mir scheint, ihre Veröffentlichungsflut eingestellt, doch ist das so schlimm? Wäre Masse statt Klasse besser?

Doch statt solcher Überlegungen, jammert Joachim eher über die „schlechteren Geschäfte“. Ich weiß nicht, ob er sich auf Zahlen bezieht, offen legt er nichts. Stattdessen vernehme ich ein Heulen im Stil der großen Musik-Industrie. Deren Einbrüche werden meistens mit den Boom-Jahren der frühen 1990ern verglichen.

Die 1990er waren die Zeit, als die CD endgültig zum „Siegeszug“ ansetzte. Die hohen Einnahmen aus dieser Zeit sind dem Faktum geschuldet, dass viele Menschen ihre Vinyl-Sammlungen auf CD nachgekauft haben. Daher Top-Verkaufszahlen für ABBA, Beatles, Rolling Stones etc. Fat Mike (Fat Wreck) und andere pusten in ein ähnliches Horn und ich glaube ja auch, dass tendenziell die Zeiten der großen Auflagen vorbei sind.

Das liegt klar auch an Downloads, doch mindestens zu einem ebenso großen Anteil daran, dass Punk gerade nicht in einem Aufschwung ist, wie noch zur Ära von Green Day, Offspring, Rancid und NoFx Mitte der 1990er. „Melodischer Punk“ ist nicht mehr zeitgemäß und deren „Kund/innen“ aus dem Mainstream sind sicherlich
nicht die „Liebhaber“ von Musik, die Platten sammeln, sondern eher Trends hinter
her laufen. Mich würde eher interessieren, wie Bands a la Leatherface, Kommando Sonne-nmilch (und andere Rachut-Ness-Bands), EA80, Spermbirds und Co im Zeitvergleich verkaufen, die einfach im Punkrock verwurzelt sind und sich seit Jahren für ein relativ treues Publikum spielen. Meine These, die Unterschiede sind dort nicht so gewaltig.

Vinyl wird dann im besagten Vorwort des Ox zu einem Randphänomen der Szene
degradiert, wobei ich das anders sehen würde. Aber klar, das fette Geld kann man damit nicht einnehmen, weil die Produktionskosten im Vergleich zur CD höher und der Verkaufspreis nicht (viel) höher ist.

„Musik umsonst aus dem Netz zu ziehen“, so lamentiert Hiller weiter, „von der man weiß, dass es sich dabei nicht um von Fans digitalisierte, längst nicht mehr zu bekommende uralte Hardcore-Singles handelt, sondern um aktuelle Alben, ist jenseits der diskutierbaren moralischen Kategorie von „Diebstahl“ nämlich vor allem eines: Dumm und ignorant.“

Er versucht also, beim Download einen Unterschied zu machen, ob ein Fan etwas mühsam selbst digitalisiert und es sich doch schon um nicht mehr zu bekommende Singles handelt oder um neue CDs, die nicht in mühsamer Heimarbeit gerippt werden.

Nun ja, moralisch sind wir uns da einig, wenn er allerdings von Diebstahl spricht, so ist seine Rechtsauffassung falsch. Diebstahl ist beides. Denn an den
alten Songs haben Menschen ebenso Rechte (s. Dead Kennedys, Crass und andere Rechtsstreitigkeiten). Die Musikindustrie versucht gerade sogar durch den massenhaften Aufkauf von Rechten, auch solche „uralte“ Musik wieder in Geld
umzusetzen.

Die zentrale Frage ohne sie so zu benennen, ist die um „Geistiges Eigentum“. Geistiges Eigentum ist seit einigen Jahren ein großes Thema in allen Medien. Nachgemachte Markenklamotten aus Thailand, Fake-iPods aus China, Musik
von Pirate Bay. Alles die gleiche Kerbe. Hardcore neben Mode-Ikons, Punk zwischen Nike und Gucci.

Bei großen Musik-Industrieunternehmen wie Bertelsmann, Universal etc. kann man diese Schreie nach einer Kontrolle der Downloads durchaus nachvollziehen. Schließlich geht es hier um Gewinne in Milliardenhöhe und Aktienkurse. Doch mit dem Wissen muntert es äußerst seltsam an, wenn Fanzines wie das OX in die gleiche Kerbe hauen. Warum?

Sieht es wirklich so bescheiden aus um den (deutschen Punkrock-) Underground?
Bei Leibe nein! Ich wage die These, dass der Anteil der Musik-Outputs und Tonträger in den letzten Jahren eher zu- als abgenommen hat. Mehr Veröffentlichung, immer
einfachere Möglichkeiten CDs und Musik zu produzieren und zu vertreiben. Die Anzahl an Musikreviews im OX ist in den letzten Jahren definitiv gewachsen! Gibt es also die Krise? Warum werden noch so viele CDs auf den Markt geworfen (und zum Besprechen verschickt), wenn der Markt doch mehr als gesättigt ist?

Zudem haben Downloads auch in dieser merkwürdigen, ökonomischen Denke durchaus Vorteile. Bands werden bekannter, bekommen mehr Fans, haben dadurch die Chance mehr zu touren und mehr Merchandise abzusetzen. Es findet eine Veränderung des Status Quo statt.

Bands aus der Pampa oder dem Ausland können leichter gefunden werden und Bands sind nicht mehr auf Labels angewiesen, die durch überkandidelte Anzeigen ihre „Labelbands“ promoten. Vielleicht ist das Internet der große Gleichmacher und ermöglichen Gewinne direkt an Bands fließen zu lassen, ohne Labels und Agenturen!?! Gute Musik, so die Überzeugung, setzt sich halt durch. Oder zumindest gut inszenierte Hypes!

Darüber hinaus ist das Kopieren, Erstellen von Bootlegs, Taping etc. kein neues Phänomen im Punk, sondern gehört seit den Anfängen einfach dazu. Wie viele Tapesampler existieren ohne Einwilligung der Bands, wie viele Kassetten wurden
untereinander überspielt und dann getauscht?

In der damaligen DDR konnte sogar erkannt werden, dass aufgrund von Überspielfehlern in den Originaltapes einige Kassetten über ganz Ostdeutschland verstreut wurden.

Klar gibt es einen großen Unterschied zwischen Taping, dem Überspielen auf Kassetten und Downloads aus dem Netz. Für das Taping muss ein Original irgendwo aufgetrieben werden, bei Downloads nicht.

Aber rechtfertigt das eine Hetze? Ich für meinen Teil lade Musik ebenfalls aus dem Netz, wann und wo ich Bock drauf habe. Das ist zu manchen Zeiten mehr, zu anderen weniger bis gar nichts. Häufig sind es Sachen, die ich schon auf Vinyl oder Tape besitze, manchmal aber auch nicht.

Und wenn mir Sachen gefallen, dann kaufe ich sie mir danach als Vinyl (Anm.: Es macht für mich keinen Sinn CDs zu kaufen, da auch CDs nur digitalisierte Daten enthalten, die ich schneller und umstandsloser im Netz finde. Ausnahme sind Bands aus Ländern, in denen Vinylproduktion nicht möglich, wie aus asiatischen oder lateinamerikanischen Staaten. Ansonsten finde ich CDs unpraktisch!). Ich habe Dank (illegalem) Download in den letzten Jahren viele gute Bands entdeckt, v.a. auch aus anderen Musikgenren.

Trotz Downloads geht der Großteil meines Einkommens immer noch für Vinyl, Fanzines, Konzertbesuche etc. drauf. Downloads sind also nicht das Ende!
Doch das Vorwort entspricht leider Gottes dem Zeitgeist.

Ich hätte gerne mal gewusst, wie man 1985 reagiert hätte, wenn das Kopieren von Tapes so nieder gemacht worden wäre. Denn, mal ehrlich, ich habe immer noch viele kopierte Tapes in meinem Schrank. „Taping“ war damals das Downloaden und auch Joachim Hiller hat bestimmt noch alte Hardcore-Singles und Alben auf Cassette, oder nicht?

Vielleicht sollten noch viel mehr Leute Sachen downloaden, damit Kulturgüter für alle frei zugänglich sind, fernab von Kaufpreisen, denn welche/r Schüler/in kann es sich leisten, jeden Monat vier oder fünf Alben zu kaufen.

Es kommt bei Punk doch auch auf Inhalte an, und wie kann man Inhalte besser transportieren? Punk und

Hardcore wird davon nicht kaputt gehen. Es wird immer Idealisten/innen geben, die noch Bock auf Musik und auf Vinyl haben. Dann werden die Auflagen wieder kleiner,
na und? Im schlimmsten Fall fallen Zwischenhändler wie Labels weg.

Oder ist das ganze Vorwort einfach nur deswegen so geworden, weil dem Ox der Arsch auf Grundeis geht? Weil es in den guten Jahren der New Economy und der
Musikindustrie mitgewachsen ist und jetzt die schlechten Jahre kommen? Das Wachstum ist jetzt am Ende, aber deswegen reaktionär werden? Bestandskämpfe wie die Autolobby führen?

Vielleicht sind neben CD-Tonträgern auch Fan-Zines nicht mehr relevant, weil sich die Kommunikation und die Geschmacks-Prägung der Leser/innen doch eher im Internet ausbilden und nicht mehr am Bahnhofskiosk?

Aber das verrät das Vorwort nicht. Stattdessen wird es am Ende noch versöhnlich, da man ja weißt, „all das betrifft Menschen, die das Ox lesen […] sowieso nur am Rande, denn für sie ist Musik schon lange ein wichtiger Teil ihres Lebens […].“

Warum, lieber Joachim, schreibst Du dann vorher so einen unappetitlichen Scheiß?

Freundlichst,
MIKA RECKINNEN

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Written by Falk Fatal

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