NÄCHSTE HALTESTELLE: DEUTSCHPUNK

Front, eine Band aus Wiesbaden, machen Deutschpunk. Ein Nischenprodukt. Unterschätzt.

Von Sven Hirschler

Auch im Jahr 2010 gilt: Wer deutschsprachigen Punkrock mag, nimmt am besten gleich den Regionalexpress Rostock Richtung Klingendorf. Denn den großen Bahnhof, die großen Konzerthallen, bekommen nur die, die den berühmten drei Akkorden längst entwachsen sind. Campino, Farin Urlaub und Konsorten besetzen mit ihrem Spaß-Pop die Arenen der Republik. Dem prinzipientreuen Deutschpunker bleibt da nur einmal im Jahr das „Force Attack“-Festival bei Klingendorf. Drei Tage Ausnahmezustand in Ostdeutschland ̶ und den Rest des Jahres die Jugendzentren der Republik.

Musik wie Beach Boys auf Speed

Front kümmert das nicht. Front kommen aus der Provinz, aus Wiesbaden, und wahrscheinlich macht genau das so entspannt. Die Band spielt zurückgelehnten, feinsten 1977er- Punk. „Zur Lage der Automation“, ihr inzwischen zweites Album, rutscht durch den Gehörgang, als hätten die Beach Boys Speed gezogen. Gesungen wird ausschließlich auf Deutsch. Dazu zwei Gitarren, ein Schlagzeug, ein Bass. Fertig ist das musikalische Überraschungsei aus unbeschwerten Popmelodien und abgehackten Gitarren, die an „London Calling“ von The Clash erinnern.

Ist das der Deutschpunk 2.0, in einem Jahrtausend ohne Dosenbier und „Haste mal ne Mark“? „Was bitteschön soll daran Punk sein?“, fragt Sänger Falk Fatal zurück. Die Wiesbadener proben den Spagat zwischen rotziger Erdigkeit und Kultur-Boheme. Front ist der Soundtrack für den inneren Zwiespalt der Anfang Dreißiger. Hier nähert man sich den großen diskurstheoretischen Fragen: Wer und was bin ich, wenn alle möglichst individuell sein wollen? Wie kann ich mich heutzutage noch politisch äußern? „Am Anfang ein Bekenntnis/ Wir sind nicht authentisch“ beginnt die Platte mit dem ersten Lied „Stil und Kultur“. Es geht um Massenkonformität, Jugendwahn, Gleichschaltung. Bierseelige Oi-Rufe werden den Bands auf dem „Force Attack“ überlassen.

Deutschpunk-Mittelstand 2.0

Front ist  ̶  und das hört die Band nicht gerne ̶ der Punkrock-Mittelstand. Fatal ist Redakteur, Bassist Markus Becker pflegt hauptberuflich Hecken und Bäume, Gitarrist Patrick Weiß macht Webdesign. Statt Sex, Drugs und Dosenbier geht’s bei Front um „die Architektur deutscher Trabantenstädte oder die alljährliche Angst deutscher Politiker, dass der Gasstreit mit Russland zu einem Energieversorgungsproblem führt“, sagt Fatal. Hört sich kompliziert an? Ist es auch. Aber nicht bei Front. „Die Lage der Automation“ feiert die hiesige Tristesse mit einfachen, intelligenten Texten und jede Menge Humor.

Hauptsache Dagegen mit neuen alten Parolen

„Wir sind schon immer die Gegen-Uniformität zu unserem Publikum“, sagt Fatal. Auf einem Front-Konzert gibt es sie noch: die Jungs mit dem Che Guevara-T-Shirt, den Nietenarmbändern und den Doc Martens. Das Dosenbier in der Hand und mit dem Wochenend-Ticket der Deutschen Bahn zum Konzert. Und frontal schleudert Fatal den Nachwuchspunks die neuen, alten Parolen entgegen: „Das Etikett/ ist die Frisur/ das Design/ bestimmt die Figur/ Das Anti-Sein/ muss kleidsam sein“.

„An der Musik fasziniert mich immer noch dieses Angepisst-Sein“, sagt Fatal. Dagegen sein ist immer einfach – doch bei Front macht es richtig Spaß. Jenseits des „10 kleine Jägermeister“-Mainstream gibt es auch guten Punk aus Deutschland. Sie haben mehr als nur die Regionalbahn verdient.

„Zur Lage der Automation“ ist bei Twisted Chords erschienen.

Written by Falk Fatal

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