LIEBE IST ALLES WAS ZÄHLT

Keine Frage, Love is on air. Ob Punker, Metaller, Popper, Schlagersternchen oder SxE-Hardcorler: Irgendwann dudelt auch bei ihnen ein Liebeslied aus den Boxen. Was nicht groß verwundert, ist Liebe doch seit Jahrhunderten das zentrale Motiv in Musik und Literatur.
So liest sich Shakespeares „Romeo und Julia“, obwohl mehr als 400 Jahre alt, immer noch aktuell, wenn man einmal davon absieht, dass es in Versform geschrieben ist. Liebe ist  zeitlos und damit auch die Komplikationen, die sie hervorruft. Ganz gleich, ob man nun Goethes Werther zur Hand nimmt oder Tex Hapers „New Wave Country“ hört. Zwischen beiden Werken mögen zwar vier Jahrhunderte liegen, der Inhalt dürfte aber jedem vertraut vorkommen. Goethe schuf mit seinem Werther den Prototyp des Unglückseligen, der die Frau eines anderen Mannes liebt, und Tex Haper besingt den unglücklich Verliebten, der sich nicht entscheiden kann.

„Tex wer?“, fragt sich jetzt mancher.

Also gut. Tex Haper ist eine Ikone der deutschen Countrymusik. Ein Trucker, wie du und ich. Ein rundes Gesicht, runde Backen und einen kräftigen, wohl frisierten Oberlippenbart. Typ Fernfahrer zum Liebhaben.

Und dieser charmante Herr, der selten ohne Comboyhut und passendem Schuhwerk aus dem Haus geht, hat neben seinen zahlreichen Hits wie „Hallo Freunde, ich bin pleite“ oder „Auch ein Trucker hat ein Herz“, 1984 für jeden Musikliebhaber die Horrorvision schlechthin besungen und im dazu gehörigen Video mit drastischen Bildern untermalt.

Haper besingt in „New Wave Country“ die dunklen, verschlungenen und vor allem nicht erklärbaren Pfade, die sich die Liebe bahnt und die immer wieder nur einen Weg kennen: Nämlich den in den Abgrund. Um was es geht? Den Horror schlechthin.

Ihr kennt das wahrscheinlich selbst. Der erste Blick elektrifiziert sofort. Das Kribbeln durchfährt den Körper und wiederholt sich bei der bloßen Vorstellung an ihn oder sie. Kein klarer Gedanke lässt sich mehr fassen. Der Leben schmeckt plötzlich wie Zuckerwatte – einfach süß. Kurz und gut: Ihr seid bis über beide Ohren verknallt.

Langsam tastet ihr euch voran, scheue Blicke werden ausgetauscht, ihr kommt euch näher. Das Werben wird erwidert, dann der erste Kuss und irgendwann seid ihr plötzlich das erste Mal bei ihm oder ihr zuhause. Ihr liegt auf dem Bett, eng umschlungen. Eure Zungen sind wie miteinander verknotet, die Hände wandern über die Körper. Erst sanft, dann bestimmter und irgendwann seid ihr dem siebten Himmel so nah.

Dann plötzlich eine Unterbrechung, der Partner springt auf und gurrt mit sanfter Stimme: „Ich mache ma passende Musik an.“ Dann Gefummel an der Musikanlage und plötzlich erfüllen die Klänge von Peter Maffay, Bonfire, Onkelz, Scooter oder Bläck Föös den Raum.

In diesem Moment fällt es euch wie Schuppen von den Augen: Der/die Angebetete hat zwar das süßeste Lächeln der Welt und einen geilen Arsch. Der Musikgeschmack jedoch ist absolut beschissen. Jetzt fallen euch auch plötzlich die ganzen Poster auf, die so komische Typen mit Fönwelle zeigen und die ihr durch eure rosarote Brille nicht gesehen hattet.

Was jetzt??? Genau diese Frage gilt es jetzt zu beantworten. Was wiegt höher? Dass zarte Pflänzchen der Liebe, das ihr entwickelt habt, oder wenigstens der Sexualtrieb oder schlicht der Musikgeschmack?

Genau vor diesem Dilemma steht auch unser Held Tex Haper. Er steht auf Country, sie auf New Wave. Ein Gegensatz, der nur schwer zu überbrücken ist. Das macht spätestens ein Studium des Videos zum gleichnamigen Lied klar.


Tex, ein patenter Trucker, ein Schnurrbart mit Herz. Holzfällerhemd, Comboyboots und Westernhut – in diesem klassisch anmutenden Outfit steht er vor zwei alten Holzweinfässern und beginnt sein Lamento.

New Wave Country – Country New Wave
Ich steh auf Country, sie auf New Wave
Sie hört gern Ideal, ich liebe Dave
Ich steh auf Country, sie auf New Wave

Dann ein krasser Schnitt und plötzlich sehen wir eine dunkelhaarige Schönheit, wie sie ihr zur Musik schwenkt, die flippig im Wohnzimmer, neben einer Topfpflanze vor der Verandaglastür tanzt, während Tex noch immer singt. Sie ist wohl die aparte New-Wave-Liebhaberin, an die Text sein Herz verloren hat.

Dann wieder ein Schnitt zurück zu Tex und dann wieder Schnitt – Kontraste müssen sein. Jetzt tanzt ein Junge im Schlafanzug. Sein Tanz ist eine Mischung aus Pantomime und Breakdance und soll wohl an einen Roboter erinnern. Deshalb hat er die Schirmmütze auch tief ins Gesicht gezogen, so tief, dass die Hutkrempe auf Augenhöhe liegt und dem ganzen einen surrealen Touch gibt. An Tricktechnik wurde hier nicht gespart. Tex klagt sich derweil durch die Strophe.

New Wave muss sein
Das redet sie mir ein
Die ganze scene ist tierisch drauf
Das muss das Schärfste sein
Warum ich sie so mag
Dadada – aha
Sie hört die Neue Welle
Von Ideal bis Hubert Kah

Dann ist wieder Schnitt zu Tex und den Weinfässern, der erst einmal mit der rechten Hand ausholt und in den Refrain überleitet.

Was für eine Symbolik!!! Wein, Weib und Gesang! Doch Tex spart sich jeden Gedanken daran. Noch immer bestimmen Hubert Kah und Trio sein ganzes Denken. Wieder Schnitt zur Angebeteten und weiter zum Jungen mit dem Schlafanzug, während Tex traurig singt

Verschärft wär so ne Band
Die keine Gnade kennt
Wo einer wie im Brausebrand
Mal über die Bühne rennt
Die Roboter nehmen Überhand
Formulieren es ganz klar
Brummen cool wie ein Kühlschrank
Die neue Eiszeit ist da

Und plötzlich wird verständlich, was Tex an New Wave stört. Es ist die Angst des Traditionalisten vor dem Neuen. Die Angst, dass die Jugend mit ihrer sexuellen Potenz die Alten verdrängt, die sich einem ewigen Kreislauf gleich, im Konflikt der Generationen manifestiert. Und überhaupt die Kritik an der Moderne, die Roboter nehmen das Leben in die Hand. Tex du alter Kulturpessimist!

Als nach 3:17 der Spuk fast vorbei ist, Tex ein letztes Mal fragend in die Kamera blickt, scheint er nicht zu ahnen, dass sein banales Dilemma die großen philosophischen Fragen der Menschheit berührt. Ihn wird das nicht kümmern. Jetzt hat er sich den Kummer zwar von der Seele gesungen, eine Lösung für sein Problem hat er aber immer noch nicht gefunden.

Nur der Betrachter bleibt nicht ganz so ratlos zurück. Zwar weiß auch er nicht, wie er sich entscheiden soll. Soll er sich für die fleischliche Liebe entscheiden, die einen erbärmlichen Geschmack akzeptiert, oder soll er sich für die Musik entscheiden? Aber er weiß, dass sich Country und New Wave nicht vertragen. Und noch viel wichtiger: Das man kein Lied daraus machen sollte!

Written by Falk Fatal

4 Comments

Mika

Moin Falk,
ich mag Deinen Blog und das Zine ja sehr, aber hier ist Dir scheinbar ein gravierender, journalistischer Fehler unterlaufen, den ein alter Country-Fan wie ich nicht so mir nichts Dir nichts übergehen kann. Zumindest stoße ich bei dem Song auf einige Ungereimtheiten!
Der Song „Country New Wave“ – so brillant die Version von Tex Haper auch sein mag (laut Internet ist sie wohl von 1984) – ist im Original schon 1982 auf dem Truck Stop Album „Rodeo“ veröffentlicht worden (vgl. http://www.discographien.de/alle_cds_von_Truck+Stop.htm). Da Truck Stop allerdings selbst sehr häufig Songs „kreativ“ übernehmen (allerdings hauptsächlich aus dem US-Amerikanischem; „Alle meine Ex-Frauen leben in Bayern“ ist z.B. im Original George Straits „All my Ex’s Live in Texas – http://www.youtube.com/watch?v=sBkX0U6H80M), habe ich mal in die Platte geschaut. Geschrieben ist der Song laut Booklet von Rainer Bach und Erich Doll, beide Gründungsmitglieder und bis 1983 bzw. 2003 bei Truck Stop aktiv.
Allerdings … auf der großartig-trashigen Homepage (Sowas habe ich bisher auf jeden Fall noch nicht gesehen!) http://www.texhaper.de/ steht, dass das Video zum Song schon von 1981 sein soll … (allerdings im Video selbst wieder 1984).
Cheerio,
Mika

admin

Oha, da hast du mich voll ertappt. Besten Dank für die Info Mika.
Da habe ich schlecht recherchiert. Muss aber auch sagen, dass ich wirklich dachte der Song sei vom guten Tex und nicht von Truck Stop. Die – wie ich zu meiner Schande gestehen muss – bisher von mir sträflich vernachlässigt wurden. Das werde ich aber nachholen. Versprochen.
Und mit den Jahreszahlen war ich mir selbst nicht sicher, ich habe mich deshalb auf die Angabe vom Video verlassen. Wahrscheinlich ist aus dem Jahr das Video und Lied wurde schon früher von ihm aufgenommen. Vielleicht war es auch ganz anders. Die Seite vom guten Tex ist aber wirklich mal der Hammer. Das sowas überhaupt noch möglich ist. Leider habe ich keine Konzertdaten entdeckt. Wer die aktuellen Tourdates hat, darf sie mir gerne weiterleiten.

Mika

Damn, ich musste das jetzt doch noch mal Bloggen!!! Großartig!
You made my day 🙂

Schreibe einen Kommentar