ALS ICH WEGEN DREI REGENTROPFEN EIN AUGE VERLOR

Ich meine, ich hätte es ja wissen müssen, das sowas passiert. Was kann man schon von einem Tag erwarten, der um 6.00h mit Arbeit beginnt. Und das noch an einem Samstag.

Warum ich Samstags arbeite? Nun, ich habe halt nie was richtiges gelernt, oder zumindest nicht die Sachen, die Dir den supertollen Job verschaffen. So blieb mir halt nicht die Riesenauswahl, eigentlich hatte ich keine. Das war das einzige, was ich machen konnte, ohne mir die Haare entfärben zu müssen, Ringe aus dem Gesicht nehmen zu müssen und wo es keine Kleiderordnung gibt.

Also zurück zu heute Morgen. Um 5.00h klingelte der Wecker und mir blieb leider nichts anderes übrig, als aufzustehen. Eigentlich war es kein richtiges aufstehen, da ich ne Stunde früher erst nach Hause kam. Ich war auf irgendeiner Party. Nichts besonderes, paar Leute waren da, ein paar Faxen. Ihr kennt das ja. Ein paar Flaschen Bier waren bestimmt auch dabei, aber was soll´s. Kurze Rede, langer Sinn, nee umgekehrt, ich wachte ziemlich verkatert und wohl noch immer betrunken auf. Trotzdem war ich recht pünktlich auf der Arbeit. Working Class olè!!!

Meine Stimmung war also dementsprechend mies. Nun gut, ich baute halt diese scheiß Bühne auf. Was natürlich dauerte und dauerte. Zwischendurch ging ich kotzen. Ich war aggressiv und versuchte Stress mit meinen Kollegen anzufangen. Zum Glück kennen die mich schon länger, so daß niemand richtig darauf einging. Scheiße, diese Monotonie. Baust Du eine Bühne auf, kennst Du alle oder so irgendwie. Viele, viele Metallträger rumschleppen, hochhiefen, an die Seilwinde, die vorher mal wieder an der Decke verankert wurde und die ganze Scheiße hochziehen. Dann die Bodenteile, Metallstangen mit Holzplatten verschrauben und so weiter. Irgendwann war halt Mittagspause. Dummerweise hatte ich mir vor einiger Zeit zwei Bücher aus der Stadtbücherei ausgeliehen. Bukowski´s Fuck Machine und McCullers Das Herz ist ein einsamer Jäger. Der heutige Samstag war halt der letzte Abgabetermin. Hätte ich die Bücher heute nicht abgegeben, hätte ich Strafe zahlen müssen. Das wollte ich dann doch nicht, also hetzte ich in meiner kurzen Mittagspause in die Stadt, in Richtung Bücherei. Ich hätte es ja wissen müssen!

Samstags geht man normalerweise ja auch nicht in die Stadt. Da ist alles voll mit Konsumgeilen Menschen. Die Stadtbücherei liegt halt mitten in der Fußgängerzone und die ist Samstags immer voll mit Menschen, die denken, sie müßten sich ne neue Jeans kaufen. Ist ja auch klar, wenn man erst 36 Stück hat. Überhaupt schon das durchhetzen zwischen diesen Menschen ist eine Höllenqual. Ich hasse sie!!! Kaufen, kaufen, kaufen und sich glücklich fühlen. Abgestumpft und leer und sich freuen, wenn Big Brother läuft. Bäh, Samstags in die Stadt gehen und sehen und gesehen werden und sich glücklich fühlen. Und dann gleich diese Massen! Tausende Zombies laufen rum mit ihren Karstadttüten und versperren mir den Weg auf meinem Weg zur Bücherei. Alt und Jung vereint, irgendwie funktioniert er ja doch, der Generationenvertrag.

Nun gut, das ist irgendwie jeden Samstag und eigentlich jeden Tag so, außer Sonntags, da haben die Geschäfte zu, aber vielleicht wird das ja auch noch durch das neue Ladenschlußgesetz geändert. Was heute anders war, war vielleicht der leichte Regen. Regen war es eigentlich nicht. Zwei, drei Regentropfen, nicht der Rede wert. Aber gewisse alte Damen brauchen da halt schon einen Regenschirm um ihre teure, graue Frisur zu schützen, junge Männer und Frauen ebenfalls. Die Haarpracht ist halt schon wichtig. Und Haarspray von L´oreal ist halt nicht Wasserfest.

Das war Punkt eins, der diesen Tag so besonders machte. Punkt zwei war, das ich dachte, wenn ich über den Rathausplatz gehe, komme ich schneller zum Ziel. Bloß die Mittagspause nicht überziehen. Echte Workingclass halt. Dummerweise ist Samstags wohl immer Wochenmarkt, das heißt man kann Eier und Schinken für viel mehr Geld kaufen, als unter der Woche kaufen, als unter der

Woche im Supermarkt. Das ist natürlich ein Fest und das zieht natürlich Leute an.

Von all dem wußte ich nichts in meinem jugendlichen Leichtsinn. Ich lief also los in Richtung Innenstadt, zur Stadtbücherei und da der Weg über den Rathausplatz der kürzeste war, rannte ich voll in diese Menschenmenge rein. Tausend Leute mit Regenschirmen, auf der Suche nach einem BSE freien Fleischstück. Geil dachte ich mir, das wird ein Spaß und er wurde es auch! Vorahnungen sind halt besser als überhaupt keine Ahnung! Häh?

Habt ihr schon einmal versucht durch eine dichtgedrängte Menschenmenge voller Regenschirme zu laufen???

Zumal, wenn ihr überdurchschnittlich groß seid. Es ist die Hölle. Ich war nur am ausweichen. Bloß nicht von einer diesen Regenschirmspitzen getroffen werden. Mein Kopf schwenkte von links nach rechts, von vorne nach hinten und umgekehrt, bloß mein Augenlicht behalten, war mein Gedanke, und dann passierte es! Ein Moment der Unachtsamkeit und ich spürte diesen höllischen Schmerz. Kann das jetzt gar nicht so auf das Papier bringen, aber es war stechend, brannte wie die Hölle und ich schrie! Mittenrein! Eine ganz komische Mischung aus Blut und weißer Flüssigkeit tropfte, quatsch, sie rann zu Boden. Benommen stand ich da, den Kopf nach vorne gebeugt, meine Hände hielten mir das Auge zu, in der Hoffnung den Schmerz zu lindern, es ungeschehen zu machen, irgendwas zu retten oder weiß der Teufel was, aber diese rotweiße Flüssigkeit strömte einfach nur dem Boden entgegen und ich schrie.

Die alte Frau, die mir ihre Regenschirmspitze ins Auge stach, klopfte mir auf die Schulter und meinte, das sie das schon im Krieg erlebt hätte und alles halb so schlimm sei und schließlich drückte sie mir noch ein Taschentuch in die Hand, damit ich die Blutung ein wenig stoppen könnte. Dann meinte sie, das wird schon mein Junge und verschwand in der Menge. Da stand ich nun, es schmerzte, mir war schwindelig und ich dachte schon, mir wird gleich Schwarz vor Augen, ähm Auge. Irgendwie gelang es mir doch noch auf den Beinen zu bleiben. Erstmal einen klaren Kopf bekommen. Was nun?

Ich bückte mich und hob die Reste meines Auge auf und klapperte einige der Stände ab, bis ich einen fand, der mir einen Erste Hilfe Koffer geben konnte. Ich verband also notdürftig mein Auge und machte das ich da weg kam, schließlich war meine Mittagspause schon lange vorbei. Mein Chef war ganz schön sauer, aber er hat es schließlich doch noch eingesehen, das es nicht meine Schuld war. Die Bücherei war da nicht so kulant.

Written by Falk Fatal

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