ANSICHTEN EINES AUßENSEITERS RELOADED

Ich bin betrunken. Hatte Weihnachtsfeier. Der Wein war gut. 2008er Jahrgang. Weißwein aus dem Badischen. War lecker. Und viel. Ich habe mich ein wenig daneben benommen. Zuerst die falschen Witze erzählt, dann dem Geschäftsführer das Glas Rotwein über das weiße C&A-Hemd gekippt. Gekotzt habe ich wenigstens auf der Toilette. Aber was soll‘s. Ich habe gekündigt. Schon vor Wochen. Sollen sie mich doch rausschmeißen oder mit dem Finger auf mich zeigen. Schon bald bin ich weg. Das Leben ist schön.

Dann bin ich in der Hotelbar abgestürzt. Fast wortwörtlich. Erst zwei Gin-Tonic auf Ex, dann vom Bar-Hocker. Helen vom Marketing hat es dann vorgezogen, mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Ich habe dann noch in einer unglücklichen Verkettung von Zufällen meine frisch angezündete Gauloise legeres auf meinem neuen 200 Euro Sakko versenkt. Shit happens.

Dafür hat der Gin-Tonic danach umso besser geschmeckt. Und jetzt sitze ich nackt bis auf die Unterhose in meinem Hotelbett und komme langsam zum Kern dieses Textes: Alex Gräbeldinger.

Alex Gräbeldinger ist ein cooler Schreiber und vor kurzem ist sein zweites Buch erschienen. Es trägt den philosophisch anmutenden Titel: „Bald ist Weltuntergang, bitte weitersagen!“ Dieser Aufforderung komme ich gerne nach: Bald ist Weltuntergang!

Falls der Weltuntergang bald nicht eintreten sollte, was ja nicht ungewöhnlich ist, schließlich ruft ja fast täglich ein spinnerder Sektenführer das Ende allen Seins aus, und wir dummen Anhänger glauben das, verkriechen uns in einem Erdloch, futtern acht Monate lang nur Konserven und wenn wir dann das Tageslicht betreten, läuft die Lindenstraße immer noch – habt Nachsicht. Gräbeldinger ruft nicht dazu auf, sich in Erdlöchern zu verkriechen. Er beschreibt in seinem neusten Werk, wie auch schon in seinem vorzüglichen Debüt „Ein bekotztes Feinrippunterhemd ist der Dresscode zu meinem Lebensgefühl“ (was ihr euch unbedingt kaufen solltet! Warum? Weil es gut ist!) die täglichen, persönlichen Weltuntergänge, die Menschen erleben, wenn sie das Leben auskosten (Dazu gehört übrigens auch eine alkoholgeschwängerte Hochzeit in Las Vegas). Das ist an sich nichts Neues, das haben schon andere vor ihm gemacht. Aber Gräbeldinger macht das in einer charmanten Offenheit, in einer Selbstentblößung, die seines Gleichen sucht. Keine Peinlichkeit scheint zu peinlich, als das sie nicht Eingang in seine Texte finden würden, die manches Mal so skurril erscheinen, dass sie nur wahr sein können und die zweimonatlich als Kolumne im Ox Magazin erscheinen. Es gibt tausende von Bukowski-Klons, die ihre Abstürze in kräftigen Worten beschreiben und versuchen dabei trotzdem Härte und Stärke zu beweisen. Nicht so Gräbeldinger. Bei ihm gehen die Witze nur auf Kosten seiner selbst, vielleicht der sympathischste Zug der Geschichten, die seine Protagonisten nicht bloßstellt. Bei Gräbeldinger hat Scheitern Charme ­– und man wäre als Leser gerne das  ein oder andere Mal live dabei, wenn er mal wieder das Leben auskostet.

Alex Gräbeldinger lebt in Andernach, dem Geburtsort von Charles Bukowski. Das passt – ob beabsichtigt oder nicht. „Bald ist Weltuntergang, bitte weitersagen“ und „Ein bekotztes Feinrippunterhemd ist der Dresscode zu meinem Lebensgefühl“ erinnern mich stark an die „Ansichten eines Außenseiters“ – moderner zwar, mit weniger aufgesetzter Härte, dafür vielleicht mit mehr Ehrlichkeit. Und selbst wenn das alles nicht stimmt: Großer Lesespaß sind beide Bücher sowieso. Lest Gräbeldinger!

P.S. Was aus dem türkischen Vater geworden ist, würde mich auch interessieren. Für hilfreiche Hinweise bin ich dankbar.

„Bald ist Weltuntergang, bitte weitersagen“ ist im Kopfnuss Verlag erschienen.

„Ein bekotztes Feinrippunterhemd ist der Dresscode zu meinem Lebensgefühl“ ist ebenfalls im Kopfnuss erschienen.

Written by Falk Fatal

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