HELGE SCHREIBER – NETWORK OF FRIENDS

Wo Punk herkam, ist mittlerweile erschöpfend geklärt. Die Bücher dazu sind Legion. Doch was mit Punk nach 1982 passierte, fand sich bisher fast nur als Randnotiz zwischen Bücherdeckeln. Helge Schreiber ändert das mit „Network of Friends“. Ein Standartwerk.

Blickt man in die Musikabteilungen hiesiger Buchhandelsketten und tippt „Punk“ bei Amazon ins Suchfeld, stößt man auf eine Fülle an Angebot. Bücher, die sich mit den Anfängen des Punks in den USA, England oder auch Deutschland beschäftigen. Wissenschaftliche Abhandlungen, die zu erklären versuchen, was Jugendliche Ende der 70er Jahre dazu brachte, sich Sicherheitsnadeln durch die Wange zu stoßen. Anthologien, die Texte aus alten Fanzines enthalten. Hochwertige Coffeetable-Books, die nichts anderes enthalten als Abbildungen alter Konzertflyer enthalten. Selbst Bücher, die den Einfluss von Punk auf die heutige Mode erklären.

So unterschiedlich die Herangehensweise der Autoren an das Thema „Punk“ auch sein mag – eines ist ihnen gemein: Sie vermitteln alle den Eindruck Punk wäre irgendwann Anfang der 80er Jahre vorbei gewesen. Das ist natürlich Quatsch. Wo die Geschichtsschreibung in den Buchhandlungen aufhört, ging es mit Punk erst richtig los, bildete sich in Europa ein Netzwerk an besetzten Häusern, autonomen Jugendzentren, DIY-Labels und Fanzines, das in Teilen bis heute fortbesteht und mit ein Grund dafür ist, dass Punk als Musikrichtung und Jugendkultur immer noch existent ist. Doch Bücher, die dies thematisieren würden und die Geschichte von Punk in die Jetztzeit fortschreiben, suchte man bisher vergebens. Umso mehr ist Helge Schreiber dafür zu danken, dass er sich dieser Aufgabe angenommen hat und mit „Network of Friends – Hardcore-Punk der 80er Jahre in Europa“ endlich ein entsprechendes Buch vorgelegt hat.

Vermutlich gibt es wenige Personen, die dafür besser geeignet wären als er. Helge Schreiber ist selbst ein Kind dieser Zeit, hat die Anfänge von Punk miterlebt und war bzw. ist bis heute selbst aktiv in der europäischen Punkszene. Sei es als Autor und Herausgeber verschiedener Fanzines, Labelbetreiber oder Konzertveranstalter. So ist hier ein profunder Kenner der Szene am Werk gewesen, was „Network of Friends“ nur gut tun kann.

Das Buch selbst ist nach verschiedenen Themen wie Bands, Läden, Fanzines, Labels, Flyer, Konzerte und etliche mehr gegliedert. Jedes der 20 Kapitel beginnt mit einer Einleitung von Helge Schreiber. Danach kommen die Protagonisten der damaligen Zeit zu Wort. Einerseits bekommt der Leser seine Informationen so ungefiltert präsentiert, da die verschiedenen Statements nicht zerstückelt und aneinander montiert daher kommen, wie zum Beispiel bei „Kill Yourself“ oder „Verschwende Deine Jugend“. Das macht das Lesen manchmal etwas eintönig, wenn dasselbe Ereignis mehrmals hintereinander aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Andererseits gewinnt „Network of Friends“ dadurch auch seinen Reiz, wie manches vergangene Erlebnis unterschiedlich gewirkt hat und in der Erinnerung haften geblieben ist. So zum Beispiel das Kapitel über die Chaostage’84: Es ist schon sehr interessant und spannend, wie sich das einerseits aus deutscher und andererseits aus italienischer Sicht liest. Das ist wahrscheinlich auch die größte Stärke des Buchs: dass die Geschichte von denen erzählt wird, die sie selbst erlebt haben.

In „Network of Friends“ gibt es keine Einordnung in kulturgeschichtliche Zusammenhänge, keine Interpretation in sozialwissenschaftlicher Diktion. Die Geschichte wird erzählt, wie sie in der Erinnnerung der Protagonisten war: Rau, toll, lustig, blöd, spannend, aufregend. Es macht Spaß das zu lesen.

Die große Klammer wird nicht geschlagen. Das wäre zwar angebracht, aber dem können sich aufstrebende Wirtschaftswissenschaftler widmen. Die dürften hier noch ein interessantes und unerforschtes Themengebiet finden: wie sich eine komplette autarke Schattenwirtschaft herausgebildet hat, aus deren Netzwerk so Bands wie Nirwana oder Green Day erwachsen konnten. Ein Netzwerk, das auch heute noch ohne etabliertes Musikbusiness funktioniert. Dass es Bands ermöglicht auf Europatour zu gehen, ohne Top-100-Platte oder Facebook-Hype. Das Platten von Bands produziert, denen das etablierte Business nicht mal eine Minute zum Vorspielen schenken würde. Das mit dafür sorgt, dass die Musikkultur nicht nur Mainstream ist. Der Grundsteindafür wurde in den 80ern durch die europäische Hardcoreszene gelegt. Mögen die 77er Bands eine musikalische Revolution ausgelöst haben, die 80er Szene hat eine musikkulturell-wirtschaftliche Revolution vom Stapel gelassen.

Wie es dazu kam, was die Beweggründe dafür waren, könnt ihr in „Network of Friends“ nachlesen. Rund 250 Seiten ist das Buch stark, das neben den Texten und Statements der Protagonisten noch eine Vielzahl erstklassiger Fotos enthält. Es sei euch hiermit wärmstens ans Herz gelegt. Wer wissen will, warum es ein örtliches AJZ gibt und dort vielleicht noch heute Punk läuft, kommt an „Network of Friends“ nicht vorbei. Und wer einfach nur ein gutes Buch zur Musikgeschichte lesen möchte, greift hier ebenfalls zu.

Helge Schreiber – Network of Friends
Erschienen im Verlag Salon Alter Hammer
ISBN: 978-3-940349-06-4

Written by Falk Fatal

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