VERBRANNTE ERDE – IV CD/LP

Verbrannte Erde veröffentlichten vor Urzeiten ihr letztes Album. Ehrlich gesagt hatte ich nicht mehr damit gerechnet von den Düsterpunks aus Gera nochmals ein musikalisches Lebenszeichen zu hören. Ich habe mich zum Glück getäuscht. IV begeistert mich total.

Es muss wohl 1999 gewesen sein (es muss 1999 gewesen sein, sonst würde dieser Text keinen Sinn ergeben). Wir waren alle sehr apokalyptisch drauf. Das letzte Jahrtausend (das Vergangene! sonst könntest Du das hier nicht schreiben! Idiot!, die Redaktion) schlarwenzelte seinem Ende entgegen und machte sich für die Nuller-Jahre bereit. Die Medien erzählten: Die Computer würden das nicht verkraften, diesen Übergang von 1999 zu 2000. Irgendwas mit den ganzen Einsen und Nullen würden sie nicht hinbekommen. Das Ende vom Lied: Apokalypse. Wie am Schluss von Terminator 3, wenn die Welt unter Atompilzen zuckt und ruckt, wie weiland Buddy Holly mit einer Gitarre. Uns war klar: Das Ende der Welt steht vor der Tür. Wenn schon die Medien das erzählen. Wir waren so: Weltuntergang, warum nicht? No Future, Alter. Dat is Punk!

Damals war das Areal seitlich des Hauptbahnhofs in Wiesbaden noch voll von alten Industriehallen bevölkert. Riesig war das damals. Heute ist davon der Schlachthof übrig geblieben. Und sonst ist da eine Wiese, auf der Groß und Klein Spaß haben können sollen. Damals war alles voll von alten Baracken. Und noch früher muss das Rinderblut literweise geflossen sein. Denn: es war ja ein Schlachthof. You know? Und hinter dem Schlachthof gab es ein Gebäude, das nannte sich Wurstfabrik. Da wurde in grauer Vorzeit Wurst hergestellt. Damals hausten da irgendwelche Künstler. So Tüpen, die voll auf Rasierschaum und Uhu-Zigaretten waren, die Farbe an die Leinwand klatschen und sagten: Dat is Kunst. Verstehste nicht, Kleiner. Nix von röhrendem Hirsch oder deutschen Blumen. Nee Kunst haben die gemacht, so richtig.

Uns war das egal. Wir tranken damals Rasierschaum, spritzten uns Uhu und wuschen uns nie.  Wir dachten: Gleich und gleich gesellt sich gerne und besetzten das Erdgeschoss. Schleppten Ruhrpottstuck und Sperrmüll in unsere Etage und fühlten uns ganz wohl. Es war behaglich. Das Dosenbier schmeckte gut. Und Daily Terror war nicht nur Musik, sondern Lifesteil.

Dann gab es da noch einen Raum, der war voll gekachelt. Von oben bis unten, von links bis nach rechts. Und an der einen Seite war eine Waage und ein mächtiger, von Rost zerfressener Haken, der an einer mächtigen Kette hing, baumelte herab. Später erklärte man uns, dass dort Rinderhälften gewogen wurden. Geil. Voll Untergang.

Für uns der prima Platz, um ein Punkkonzert zu veranstalten. Natürlich schön apokalyptisch, wir waren ja voll auf Weltuntergang. Wir luden uns also Verbrannte Erde aus Gera und Beinhaus, die sympathischen Industrierocker aus Wiesbaden, ein. Menschen also, die auch nicht auf Morgen hofften. Oder so ähnlich.

Das Konzert: Ein voller Erfolg. Der Papst tanzte im Kettenhemd, die Oma fuhr im Kachelhof Motorrad, der Bär steppte den Jitterbug. Und irgendein Schwein pfiff dazu leise La Paloma. Zahnlos natürlich. Juchhe! Wir waren überglücklich. Das zu erleben, so kurz vorm Weltuntergang. Ja bitte.

Die Computer spielten dann doch nicht so verrückt. Microsoft kündigte Windows 2000 an. Die Apokalypse musste warten. Bis heute. Kurz darauf mauerte die Stadt Wiesbaden alle Zugänge zu unserem Partygeschoss ein und versteigerte ein Jahr später die Schrottsofas und eine Split Image CD (von wem war die denn? Markus?). Weltuntergang war vorbei. No Future war am Arsch. Wir wurden alle Einzelhandelskaufleute und Versicherungsvertreter. Der Traum war aus. Das Ende vom Lied. Die eine Hälfte von Beinhaus torkelt mir heute noch auf Konzerten entgegen, Verbrannte Erde verlor ich aus den Augen.

Und jetzt 13 Jahre später läuft die neue Platte der Thüringer in meinem CD-Player, die schlicht IV heißt.Irgendwie passend. In etwa dreieinhalb Monaten soll laut den Mayas die Welt wieder untergehen und ich fühle mich nach Weltuntergang again. Zu Verbrannte Erde würde ich ja gerne sagen, weniger Ian Curtis, mehr New Order. Doch so ganz stimmt das nicht. Was nicht schlimm ist. Ian Curtis sang ja toll in seiner Krachkapelle. Ich freue mich auf den Herbst. Wenn schon Weltuntergang, dann so. Am 21. Dezember werde ich Ranicki in Endlosschleife  hören. Ich nehme diesen Preis nicht an!

IV ist bei Major Label erschienen

Written by Falk Fatal

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