LYVTEN IM INTERVIEW: Mach das Fenster auf und lass frische Luft herein!

Bild: Lyvten

Die Schweizer Band Lyvten hat kürzlich ihre sehr gelungene Debüt-7″ veröffentlicht. Dass, und der Umstand, dass ihr Sänger und Gitarrist Thorsten ein alter Freund von mir ist, waren Gründe genug, ein Interview mit Thorsten zu führen. 

Lyvten sind eine noch recht neue Band aus der Schweiz, die vor kurzem ihre Debüt-7“ veröffentlicht hat. Die beiden Songs „Laufen auf Repeat“ und „Frau Vargas“ sind zwei klasse Emo-Punk-Songs, die auch von Bands wie Duesenjaeger oder Captain Planet stammen könnten, und alle, die auf diese Bands stehen, sollten sich unbedingt die Single von Lyvten zulegen. Aber Lyvten sind nicht einfach nur eine tolle neue Band, hier singt auch ein alter Bekannter: Thorsten Polomski.

Thorsten kenne ich schon ewig. Früher sang er unter anderem bei Bubonix, von denen ich auf meinem alten Label Matula Records einst vier Platten veröffentlichte. Fast alle Tattoos an meinem Körper hat er gestochen, eine Zeitlang haben wir sogar zusammengearbeitet in Wiesbadens bester Kneipe und überhaupt ist Thorsten einfach ein toller Typ. Im Lauf der Jahre ist er ein guter Freund geworden. Umso trauriger war ich, als Thorsten vor einigen Jahren seine Zelte in Deutschland abbrach und in die Schweiz übersiedelte. Dort hat er jetzt sein Glück gefunden, was mich sehr für ihn freut, und was natürlich genügend Gesprächsstoff bietet für ein Interview über seine neue Band, das Leben in der Schweiz und überhaupt.

Erzähl mal. Wie haben sich Lyvten getroffen, gegründet? Und wie spricht man euren Namen aus?

Lyvten haben sich im Spätsommer 2013 in der Josefstraße in Zürich gegründet, anfangs war es noch ein Projekt von Sandro und Steff, wo erst ich und dann Tobi dazu stießen. Auf einem Blackmail-Konzert in der Roten Fabrik in Zürich traf ich Sandro im Backstage, wo er mir von ihrem Projekt erzählte, zuerst dachte ich, es wäre ein Punk/HC-Projekt. Wir tauschten unsere Kontakte, er schickte mir paar Ideen und mir wurde klar, dass es sich  um Indie/Postpunk dreht, was ich natürlich auch super finde, aber mir gefiel das mit meinem Gesang usw. nicht auf Anhieb, denn erstens, hatte ich schon lange nicht mehr in einer Punkband gesungen, zweitens sind die Gitarren auf Drop D gestimmt, was eigentlich zu hoch für mich ist.  Zu dem Zeitpunkt hatte ich weder eine Ahnung, ob ich in Deutsch oder Englisch singen, geschweige noch die 2. Gitarre benutze oder ob das überhaupt Substanz hat. So trafen wir uns zuerst zu dritt, probierten  es mal aus und es machte Spaß mal wieder an Songs rumzubasteln, was zusammen zu erschaffen, sich über Texte zu unterhalten, und vor allem zwei super Typen kennenzulernen, zu diskutieren, warum, wie was usw., zum Schluss hab ich Tobi von der HC-Band Das Empire gefragt, ob er Lust hätte bei uns Schlagzeug zu spielen und er sagte zu! Letztendlich hat sich im Großen und Ganzen eine Freundschaft mit viel Spaß an der Sache entwickelt und das hat gesiegt!

Say  LÜFTEN! say What!

Euer Name klingt in meinen Ohren erst einmal ungewöhnlich. Welche Bedeutung hat er?

Ja, könnte was Skandinavisches sein, ist es aber nicht, haha. In erster Linie wollten wir einen Bandnamen mit dem man sich verschiedenen Genres bedienen kann und der nicht gerade auf eine bestimmte Richtung schließen lässt, das lässt mehr Raum für Neues. Der Name ist ja einfach eine Abwandlung von Lüften, ihr könnt uns natürlich auch: mach das Fenster auf und lass frische Luft herein, nennen. Dachte auch, dass es ein guter Name sei für ein frisches neues Projekt.

Nach deinem Ausstieg bei den Bubonix und bei Six Reasons to kill war es – zumindest was Punk/Hardcore angeht – ziemlich ruhig um dich. War es eine bewusste Entscheidung von dir, sich nicht gleich wieder in eine neue Band zu stürzen?

Ja, das war schon eine bewusste Entscheidung, ich brauchte nach 16 Jahren Bubonix und den anderen Bands erstmal einen Break und einen Wandel in meinen Leben. Die Distanz kam da gerade recht, denn ich kannte in St. Gallen, außer meinen Arbeitskollegen niemanden und für mich braucht eine Trennung Distanz. Punk/HC-mäßig hab ich in St. Gallen stetig weitergemacht. Wir haben mit paar Leuten hier noch so ein loses Projekt Richtung Wipers/Fucked Up und Black Flag zu „Damaged“-Zeiten, wo ich auch Gitarre spiele. Einen Song haben wir schon im Studio aufgenommen. Der Gesang der beiden Sänger ist sauaggressiv, zwischen San Diego Noise und einem Infest/Neandertal-Feeling! Ich denke, wenn wir faulen Säcke die Vocals irgendwann mal aufnehmen, arbeiten wir uns vielleicht auf eine 7“ hin, das Cover gibt es zumindest schon. Aber die Zeit mit Familie und einem Job sind zeitlich sehr begrenzt. In den ersten Monaten in der Schweiz ist auch die erste 12“ von EAU-DC entstanden, die noch auf dem damaligen Label Droehnhaus von Alwin Lorenz veröffentlicht wurde. Ja, mit EAU-DC wurde es dann ruhiger, aber vom Ausdruck und der Stimmung her aber trister, kaputter, suchend nach Wärme,  so wie es mir auch ging. Es gibt bestimmt auch ca. 20 Demosongs, die weitgehend in die Richtung Avantgarderock/ Musicpoetry gehen, die wurden mit verschiedenen Musikern aufgenommen. Mit den Songs hatte ich nie den Anspruch das rauszubringen, denn da gab es einfach viel zu verarbeiten, Texte, die niemanden was angehen usw., das musste einfach nur raus, aber nicht in die Öffentlichkeit. Ich hatte Angst mich wieder musikalisch zu binden, Verantwortung und Verpflichtungen zu tragen. Mit LYVTEN geht das gut, denn die anderen haben noch teilweise Hauptbands und auch beruflich und familiär haben wir nicht so die Zeit. Das war früher noch anders, als man am liebsten jede Show mitnehmen wollte. Nach dem Break wollte ich erstmal keine Konzerte mehr besuchen und hab mich sehr oft in Museen mit anderen Ausdrucksformen auseinandergesetzt und das genossen, aber nach und nach ging es wieder los und ich habe mir so viele Bands verschiedenster musikalischer Richtungen, die ich immer mal sehen wollte, angeschaut, und auch wieder als Besucher ein Feeling entwickelt, ohne zu schauen, wie und was jemand da jemand spielt. Ich habe mich einfach nur auf die Stimmung eingelassen, oft war ich allein unterwegs, da ich nicht sehr viele Leute hier kannte. Ich war mit Bubonix, Six Reasons To Kill und Karaoke till Death musikalisch und zeitlich überdosiert und auch müde von mir selbst, den Konzerten, Clubs und den ganzen Menschen. Ich kannte da meine physischen und psychischen Grenzen noch nicht so wie jetzt. Auf der einen Seite fuhr alles auf null und es musste auch mal die Reset-Taste gedrückt werden, um mich neu kennenlernen, neu zu definieren. Das war ein harter und langwieriger Prozess, der mir wieder Lebensenergie und ein einigermaßen stabiles Selbstwertgefühl gab, das ich nie wirklich hatte. Das war wohl ganz klar ein Burnout, den ich rund drei Jahre mit Therapien und vielen psychologischen Gesprächen wieder in den Griff bekam. Das großartige TOM WAITS Album „Closing Time“ hörte ich in der Zeit zwei Wochen am Stück, wann immer ich konnte, bin viel Velo gefahren, habe mich viel in der Natur aufgehalten, bin spazieren gegangen, habe die Gegend und die Menschen langsam entdeckt und kennengelernt. Ich habe lange gebraucht, um mich Bandtechnisch wieder zu binden, hätte tolle Bands mit tollen Menschen gründen können, aber ich war nicht bereit. Selbst bei LYVTEN hatte ich, wie gesagt anfangs Angst, dass mich das wieder zu sehr in den Bann zieht. Aber man soll nie Angst vor der Vergangenheit haben und denken, dass alles wieder so kommt, wie es mal war, denn man selbst ist der Kapitän und kann das gegenwärtig mit einer positiven Einstellung ändern 🙂 P M A!!!

lyvten2Stattdessen hast Du mit EAU-DC’s zwei Elektroscheiben veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Der Sounddesigner Jens Fischer und ich lernten uns im Ultraton Studio von Alex Theisen kennen. Da beschlossen wir mal zusammen was Elektronisches zu machen, da wir in Sachen synthetischer Klänge ziemlich auf einer Wellenlänge sind. Nachdem wir uns aus den Augen verloren hatten, trafen wir uns nach Jahren zufällig vor einem Lebensmittelgeschäft in Wiesbaden wieder und machten das Projekt dingfest. Wir haben beide einen ähnlichen Background, auch durch das Kalkwerk in Limburg, wo wir mit unseren Bands schon probten und unsere Jugend verbrachten. Mir waren die Leute im HC/Punk, die elektronische Klänge scheiße finden, egal. Ich hatte da immer ein weites Spektrum an Musik und bin erst spät zu Punk und Hardcore gekommen. Ich fing durch meine Eltern an, Platten von Jimi Hendrix, Fleetwood Mac, Stevie Wonder, Cream usw. zu hören, später viel Acid House, Sachen wie Meat Beat Manifesto, Consolidated usw. Nimm Dir in Sachen HC mal  THE LOCUST vor, die haben auch einen Synth in ihrem Repertoire! (Habe ich doch schon vor Jahren, FF) Man kann mit so vielen Instrumenten, oder eigenen Samples aus der gewohnten Umgebung freie Musik gestalten, um Stimmungen, wie Misanthropie, Liebe oder Wehmut zu transportieren, dafür braucht man nicht immer Growls, harte Gitarren und Geschwindigkeit. KLAUS WALTER hat mich da mit seiner damaligen Sendung „Der Ball ist rund“ sehr geprägt! Die Sendung war einfach Open Minded, da wurde alles gespielt, mit einem klaren politischen Background, da lernte ich neben CPT. KIRK, LINTON KWESI JOHNSON auch ADVANCED CHEMISTRY kennen. Die Sendung hat mir schon in meiner Jugend gezeigt, dass alle politisch sein und zusammen eine Masse bilden können!

Und was fasziniert Dich an dieser Art von Musik?

Bei EAU-DC geht es um Geduld, denn vorher haben wir beide im Verhältnis zu EAU-DC schnellere  Musik gemacht. EAU-DC ist immer was ganz Neues für uns und soll auch so bleiben. Jens als Sounddesigner braucht es auch, um sich vom Alltag zu erholen. Mich Fasziniert bei IDM genauso wie im Freejazz, dass es frei ist von irgendwelchen herkömmlichen Songstrukturen, Stimmungen in den Raum wirft, rieseln lässt und sich, wie beim Lesen, Raum für seine eigene Fantasie und Interpretation lässt. Meine liebsten Beispiele sind AUTECHRE oder ALBERT AYLER, das ist für mich der wahre Punk, wobei erstere dem Background noch näher sind. Ich erinnere mich, als ich mit Autechre unterwegs war, wollten die nach der Show auf dem Melt Festival von TERRORIZER „World Downfall“ hören!

Du lebst jetzt ja schon einige Jahre in der Schweiz. Von außen betrachtet, mutet die Schweiz merkwürdig an. Einerseits gilt sie als Zufluchtsort für Steuertrickser und -sünder, ist die Heimat vieler globaler Finanzkonzerne (oder zumindest deren Headquarter in Europa) und fällt immer wieder durch ausländerfeindliche Volksabstimmungen auf. Wie lebt es sich zwischen diesen Extremen? Und wie nimmst Du die von der SVP initiierten Volksabstimmungen war. Schließlich giltst Du in der Schweiz ja selbst als Ausländer.

Für mich als halber Filipino ist das irgendwie nicht wirklich was Neues, in Deutschland lernte ich den Rassismus schon sehr aggressiv in meiner frühesten Jugend kennen. Das ging bis in meine Familie hinein. Nach dem Mauerfall war der Nationalstolz in Deutschland sehr hoch und ziemlich brutal ausgeprägt. Asylbewerberheime und Häuser von Migranten wurden angezündet. Mein Vater gründete eine Bürgerliste mit Freunden und Bekannten, um zu verhindern, dass die Republikaner und die NPD in das Stadtparlament kamen, was glücklicherweise auch funktionierte. Ich glaube, wenn man als Kind schon früh rassistische Ablehnung erfährt, prägt das dein ganzes Leben. Wir als Familie bekamen Drohanrufe, meine Mom wurden in der Öffentlichkeit Gewalt angedroht und gesagt, sie solle in ihr Land zurück.  Es ging so weit dass meine Schwester vieles einstecken musste, weil ihre Klassenlehrerin bei den Republikanern war, das wusste erstmal niemand, selbst meine Eltern wurden bei dem Versuch ein Gespräch mit ihr zu suchen, rausgeschmissen. In unserer Jugendzeit organisierten sich in unserer Gegend die Faschoskins sehr schnell und wuchsen auf eine große Mitgliederzahl an, sodass sie die Kids, die nicht in ihr Raster passten, aufsuchten, mit ihren Mofas oder Autos durch unsere Straßen fuhren und versuchten uns zu kriegen. Die machten Menschenjagden mit uns, weil einige eine dunkle Hautfarbe hatten. Das war sehr schlimm und sitzt tief, da kriegt man schon früh Panik, aber weiß dann auch zu kontern und damit umzugehen. Solch eine Situation schweißt auch Familien und Freundschaften entweder zusammen, oder trennt sie. Mein familiäres Umfeld und auch mein alter Freundeskreis hat einen tiefsitzenden Kodex und dieser Hinsicht, da halten wir blind zusammen und wissen das wir eine Einstellung haben und füreinander einstehen – ONE VOICE!

lyvten3Und wie ist das jetzt in der Schweiz nach der letzten Volksabstimmung? Da stimmte ja eine knappe Mehrheit dafür, die Begrenzung von EU-Ausländern zu begrenzen.

Nach der letzten Abstimmung zur Ausländerinitiative fühlten sich viele Immigranten, mich eingeschlossen, diskriminiert und abgelehnt. Da lag eine traurige Schwere in der Luft, ähnlich zu vergleichen mit dem Nationalstolz in Deutschland nach dem Mauerfall in den 1990ern, nur dass das Gewaltpotenzial in körperlicher Form hier nicht so ausgeweitet ist. Aber der Rassismus ist gegenwärtig. In Zürich saß ich kurz nach der Abstimmung mit einem Schweizer Freund in einem Restaurant im Hauptbahnhof, als ich von einem Schweizer Herren, der sich an  unseren Tisch setzen wollte, gesagt bekam, dass es besser wäre, wenn um die Schweiz eine Mauer gezogen werden sollte, damit niemand mehr reinkomme und die Deutschen würden eh die Arbeitsplätze wegnehmen und er könne sie, wie viele andere hier, nicht mehr sehen. Eine Diskussion war zwecklos. Die Schweiz ist ein von Existenzängsten und Luxusproblemen getriebenes, aber sicher funktionierendes System. Im Gegenzug sehen die Menschen, was derzeit in Europa geschieht, wie die Gelder hin und her geschoben werden und die Bürger übergangen werden und kein Mitspracherecht haben. Das Traurige ist, dass die meisten Stimmen für die SVP aus dem Hinterland oder den Bergen kamen, wo man wahrscheinlich noch nie mit einem ausländischen Mitbürger Tür an Tür gewohnt hat. Die SVP betreibt schon sehr viel Propaganda, die von den Slogans und den Plakatdesigns her sehr an die der Hetzplakate des Dritten Reiches erinnern. Nach der Abstimmung haben einige Deutsche ihre Jobs gekündigt, wie zum Beispiel ein Professor an der ETH in Zürich.

Die TV Auftritte, wie zum Beispiel von dem SVP-Politiker Christoph Mörgeli waren auch unter aller Sau. Aber die Schweiz profitiert von den ganzen Expats, den internationalen Konzernen, die viel Geld in das Land schießen und den qualifizierten Fachkräften, von denen sie selbst zu wenig hat. Es ist tatsächlich auch manchmal ein komisches Gefühl von so viel „reichen“ Menschen umgeben zu sein. Man spürt das schon – zum Beispiel in Zug, wo ich arbeite, sieht man öfter mal Ferraris und hat sehr teure Geschäfte vor der Nase. Aber das ist dann doch nicht die große Masse, die meisten Menschen, die ich in der Schweiz kennenlerne, sind bescheiden und sehr sympathisch und haben das Herz am richtigen Fleck. Aber von daher hat sich mein Menschenbild schon auch verändert – viel Geld muss nicht mit einem schlechten Charakter gleichgesetzt werden.

Also wirkt die Schweiz von außen betrachtet nur merkwürdig, ist aber nicht so?

Ja, grundsätzlich ist die Schweiz nicht merkwürdig, sondern wunderschön und bietet eine hohe Lebensqualität. Ich habe eine Schweizer Freundin, ein Kind, bin somit hier langsam fest verwurzelt. Wie überall im Leben kann man beeinflussen, wie man die Dinge wahrnimmt und interpretiert – und ich hatte in Deutschland mit den ganzen Prägungen schon ein sehr negatives Bild. Es gelingt mir hier in einem neuen Land besser, die Sachen auch mal aus anderen Perspektiven zu sehen und bin da politisch etwas „entspannter“ als früher und ohne Paranoia. Aber ums Geld geht es mir bei der ganzen Sache in der Schweiz definitiv nicht – diese Diskussion und die ganzen Vorurteile, dass man kaum über der Grenze ist,  zum „reichen Schweizer“ mutiert, nerven mich und es ist absolut nicht so.

Ich habe mir hier ein gutes Leben aufgebaut, wie es in Deutschland vielleicht auch möglich gewesen wäre. Aber ich bin nun mal hier und haben einen guten Neustart geschafft – alles in allem, kann ich mir nicht vorstellen, wieder in Deutschland zu leben. Winterthur, wo ich wohne, ist eine tolle Stadt: kulturell sehr vielfältig, übersichtlich von der Größe und Stadtpolitisch offen und alternativ. Das zieht auch viele Bewohner an, die auch so sind. Gemessen an der Größe (oder Kleine) der Stadt läuft sehr viel, für mich hat es vieles, wie einen tollen Plattenladen um die Ecke, eine gute vegane Kultur und unzählige super Veranstaltungen, einfach eine gute Infrastruktur und eine gut funktionierende linke Subkultur.

Ihr habt eure Debüt-7” in den Clouds Hill Studios in Hamburg aufgenommen, in denen ja sonst eher bekannte und renommierte Künstler wie Bela B., Hannes Wader, Turbostaat, Slime, Jochen Diestelmeyer uvm aufgenommen haben. Für eine noch neue Band ist das ein etwas ungewöhnlicher Schritt, direkt die erste Single in so einem renommierten Studio aufzunehmen. Warum habt ihr ausgerechnet da aufgenommen? In der Schweiz gibt es sicher doch auch Studios, die unter Umständen günstiger sind.

Klar gibt es in der Schweiz eine Menge guter Tonstudios, die unter Umständen auch viel günstiger als das Cloudshill sind! Aber wir wollten die Zeit als Band intensiv nutzen, dadurch konnten wir uns schneller kennenlernen, sehen wie jeder Einzelne von uns tickt und wie wir das musikalisch machen, deshalb war es gut nach Hamburg zu fliegen, um unserem Alltag in der Schweiz zu entfliehen. Das war auch sowas wie ein Test, um zu sehen, ob das Substanz hat und zusammenschweißt oder ob wir das mit der gemeinsamen Band besser sein lassen sollten. Außerdem wollten wir, nachdem wir uns entschieden hatten, welche Richtung wir einschlagen, mit Leuten wie Torsten Otto und Chris von  Rautenkranz zusammenarbeiten, die die Materie nur zu gut kennen und Bands gemacht haben, die uns alle beeinflusst haben und wo auch der Spirit am richtigen Fleck sitzt. Die 7“ ist in erster Linie ein Zeitdokument. Es sind die ersten beiden Songs, die wir je zusammen gemacht haben und das wollten wir festhalten, das war uns die Sache wert. Ob die Leute die Songs mögen oder nicht, hatte da keine Priorität, es ist in erster Linie für uns, wo wir nach Jahren mit Freude drauf schauen werden und uns an die Zeit erinnern! Das Tobi von Twisted Chords die Songs mochte und  auch als 7“ rausgebracht hat, freut uns da noch mehr!

lyvten4Auffällig an der 7” ist, dass die Texte persönliche Dinge thematisieren. Früher bei Bubonix und Six Reasons to Kill waren die Texte direkter und offensichtlich politischer. Bilden die beiden Songs eine Ausnahme oder geht es bei Lyvten textlich eher in die persönliche Ecke?

Die Texte handeln auf der 7“  eigentlich nicht von persönlichen Erfahrungen aus meinem Leben, sondern eher von Beobachtungen, Vermutungen oder Mutmaßungen, wie es um oder in anderen Menschen aussehen könnte. Es geht um Verhaltensweisen bei Ängsten, Glück, Liebe, Verlust, um Schnelllebigkeit,  Unaufmerksamkeit und Kommunikationsbarrieren, wie wir sie tagtäglich erleben. Die meisten Menschen sind nicht mehr bei sich selbst, sie starren auf ihre Handys, entfernen sich von der Natur, kennen nicht mal ihre Umgebungsgeräusche. Viele sind mit der Vergangenheit zu sehr verankert oder schauen zu weit in die Zukunft, sie inszenieren sich was in ihrer Fantasie, vergessen das Leben im momentanen Zustand zu erleben, oder zu genießen. Es geht um Erkenntnis, um Ideale und Lebenseinstellungen.

Im Plastic Bomb wurde eure Single heftig zerrissen. Da ihr ja allesamt schon seit Jahren Musik macht. Berühren euch negative Reviews noch oder sagt ihr euch: “Ist uns wurscht, was die schreiben?”

Da ich das Plastic Bomb noch nie besessen, geschweige denn großes Interesse hatte, es zu lesen, macht mir das nix aus, passt doch und umso schöner, dass man uns in einem Punkkonsens nicht sieht! Aber klar fand ich es schade, dass die 7“ so zerrissen wurde, alles andere wäre gelogen!

Musikalisch werdet ihr wahrscheinlich ziemlich oft die Rachut-Turbostaat-Schublade gesteckt. Absicht? Und stört euch das?

Kann sein, wir mögen diese Bands und wir hatten auch Lust deutschsprachigen Indiepunk zu machen. Bis zu dem Zeitpunkt hab ich mich nicht mit der deutschen Indiepunk-Szene auseinandergesetzt und kannte lediglich die bekanntesten Bands oder die Roots der Hamburger Schule. Ja, wir wollten in das Genre, aber wollten nicht unbedingt wie ein Klon von irgendeiner Band klingen, das ist immer leicht gesagt, aber ob das dann letztendlich auch so ist, weiß ich nicht.

Da kann ich Dich beruhigen. Wie ein Klon klingt ihr nicht. Man hört, dass ihr wahrscheinlich ähnliche Einflüsse wie besagte Bands habt, aber das war es dann auch schon. Kommen wir zu Deinem musikalischen Werdegang. Wenn ich mir den so anschaue, ist die Musik beginnend bei Bubonix, über Six Reasons to Kill und Morph bis jetzt zu Lyvten immer softer und poppiger geworden. Wird aus dem HC-Punker Thorsten auf seinen alten Tagen doch noch ein Popper?

Musikalisch schon, aber das Lebensgefühl und die Ideale haben sich jetzt ein wenig manifestiert und ich bin ein noch größerer Misanthrop geworden. Das heißt, dass die Texte für mich zwischen den Zeilen radikaler und trister und zerrissener sind. Also, wenn Pop, dann eher Aggropop, da liegst du nicht ganz falsch. Beim Arbeiten hören wir neben Black- und Deathmetal/ Doom/ Sludge/Noise, Punk/HC, Avantgarde Rock, Postrock auch Soul, Funk, Folk, Rock – privat hören wir zuhause viel Klassik, Electronic, Jazz, Indie, Hip Hop. Also Du siehst, was das Musik hören anbetrifft, bin ich sehr offen.

Ihr spielt demnächst ja in Wiesbaden, wo Du einige Jahre gelebt und gearbeitet hast. Mit was für einem Gefühl gehst Du an das Konzert heran? Was darf das Publikum erwarten?

Es ist mir eine Ehre und freue mich sehr, dass wir da mitspielen dürfen. Der Schlachthof ist einer besten Clubs in Deutschland, in der Räucherkammer war ich öfter als Gast und auf und hinter der Bühne, da ist viel passiert, ein Ort der mich mit seinen Leuten geprägt hat. Ein wichtiges Kulturgut, dass leider zu viele Gegner hat in Wiesbaden, dieser spießigen, leblosen Stadt, gerade die Diskussion um das Folklore Festival hat mich so sehr aufgeregt, dass man …

Das beste Beispiel sind die Musikfestwochen in Winterthur, wo ich wohne. Das geht 14 Tage, die Anwohner freuen sich das miterleben zu dürfen und sind auch ehrenamtlich und mit dem Herz bei der Sache, das ist ein tolles Gefühl. Kultur soll leben dürfen – und MUSS leben dürfen!

Das Publikum darf sich auf die Songs der kommenden Platte und die letzten Konzerte im Jahr 2014 in der Räucherkammer freuen, bevor es dann im Wasserturm weitergeht!

Du hast die neue Platte gerade schon erwähnt. Die steht  wahrscheinlich als Nächstes an?

Richtig, ein Longplayer in Planung. Den werden wir Anfang 2015 selbst aufnehmen und wenn die Zeit es zulässt, werden wir wieder ein paar Gigs spielen.

Thorsten, vielen Dank für das Interview! Es war mir eine Freude!

Wir verlosen 1×2 Eintrittskarten für das Konzert mit Captain Planet, Havarii und Lyvten am 25.10. im Schlachthof Wiesbaden. Einfach eine Mail mit dem Betreff “Captain Planet” an trashrock@gmx.deschreiben und euer Name kommt in die Lostrommel. Der Gewinner wird vorher rechtzeitig benachrichtigt.

Written by Falk Fatal

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