ST.PAULI PUNKROCK: INTERVIEW MIT NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN

notgemeinschaft_gruppenNotgemeinschaft Peter Pan sind für mich nicht nur eine der besten Deutschpunkbands zurzeit, sondern auch super sympathische Menschen und gute Kumpels. Ihr neues Album „Dirigenten. Dompteure. Diktatoren.“ kann ich euch nur ans Herz legen. Genauso wie dieses Interview, das ich mit den Jungs für den gestreckten Mittelfinger geführt habe. Aber lest selbst.

Sibbe kenne ich schon eine kleine Ewigkeit. Schuld daran ist mein Freund Sven, den es Anfang des Jahrtausends nach dem Zivildienst nach Hamburg verschlug. Dort hatte er sich in eine WG in Altona einquartiert, in der auch “ein netter Punker” wohnte. “Du wirst ihn mögen”, sagte mir Sven noch am Telefon. Einige Wochen später stattete ich Sven dann einen Besuch in der Hansestadt ab. Am Bahnhof Altona holten er und Sibbe mich dann ab und der erste Gang führte uns direkt in eine Kneipe, wo wir bei ein paar Holsten das Eis schmelzen ließen. Sibbe war mir von Anfang an sympathisch.

So kam es auch, dass wir Sven an einem Abend zuhause ließen und zu zweit um die Häuser zogen, ein nächtlicher Besuch im Millerntorstadion und eine kaputte Hose meinerseits inklusive, die ich mir beim Versuch über den Zaun des Stadions zu klettern, deftig am Arsch aufriss. Das war auf jeden Fall eine der besten Sauftouren, die ich in meinem Leben hatte. Seitdem ist mir Sibbe ans Herz gewachsen. In jener Nacht beschloss ich auch, mir von Sibbe, der sich zu dieser Zeit als Tätowierer versuchte, das Logo von Astra Bier auf den Oberarm stechen zu lassen.

Als ich wieder nüchtern wurde, fand ich die Idee immer noch gut und so prangt seit jener Zeit das Astra-Logo samt grünen Flammen auf meinem rechten Oberarm. Der Kontakt zwischen uns riss danach nie ab. Meine zahlreichen folgenden Hamburgausflüge beinhalteten eigentlich immer als festen Programmpunkt „Biertrinken mit Sibbe”. Und so bekam ich natürlich auch Sibbes musikalische „Karriere” mit. Von den Demos seiner alten Band angefangen über Tarantula Krise bis zu Notgemeinschaft Peter Pan, die meiner Meinung nach die beste Band ist, in der sich Sibbe versuchte.

Bei einem gemeinsamen Konzert meiner Band FRONT mit der Notgemeinschaft im Störte in Hamburg lernte ich auch den Rest der Band kennen. Und da sich tolle Menschen meist mit anderen tollen Menschen zusammentun, waren mir auch Stemmen, Mario und Ori sofort sympathisch. Für mich sind Notgemeinschaft Peter Pan eine der besten Deutschpunkbands, die es zurzeit gibt. Politisch klar links, fest in D.I.Y.-Strukturen verankert und musikalisch und textlich ganz weit vorne. Grund genug die sympathischen Herren zum Interview zu bitten.

ZUNÄCHST EINMAL, STELLT EUCH DOCH MAL VOR. WER SIND NOTGEMEINSCHAFT PETER PAN, SEIT WANN GIBT ES EUCH, WAS MACHT IHR?

STEMMEN: Also vorneweg erst einmal Moin Falk! Im Sommer 2009 haben Sibbe, Ori und ich uns irgendwie durch ein paar Beziehungszufälle kennen gelernt. Ein paar Monate später, Ende Oktober, trafen wir uns dann zur allerersten Probe. Wir drei spielten damals zwar allesamt in anderen Bands, aber Sibbes Tarantula Krise stand bereits kurz vor der Auflösung, meine alten Kumpel von Beate X Ouzo leben halt 400km entfernt von Hamburg und Ori war mit Katzenkönig einfach nicht ausgelastet. Wir waren eben eine Musik-Notgemeinschaft, die was Neues starten wollte. Es entstand dann gleich ein kompletter Song inkl. Text und nach der zweiten Probe waren es schon derer drei.

Acht Wochen später sollten wir unsere ersten vier Stücke dann direkt auf einer WG-Party vorstellen. Für diesen Abend konnten wir den damaligen T-Krise Drummer Brian gewinnen, weil Sibbe nicht mehr wie bei den Proben beim Schlagzeug spielen singen wollte. Brian blieb dann gleich ganz, aber leider nur bis zu den Aufnahmen unserer 7inch Anfang 2013. Danach haben wir diverse tolle Leute kurzzeitig, oder auch nur als Tour-Aushilfe mit an Bord gehabt, aber wir waren denen allen wohl immer etwas zu produktiv. Nach vergeblichem Anlabern aller arbeitslosen Punkrock-Schlagzeuger der Stadt, hat sich im Herbst 2013 dann Mario auf unsere sinngemäße Annonce “suchen unverheirateten, Kinderlosen, jungen Punker mit Skatebord” gemeldet. Und jetzt sind wir endlich wieder eine komplette Band und sehr glücklich dazu, weil nun erstmals jemand den Takt vorgibt, der sich auch noch vollends mit ins Songschreiben, Orgakrams und derlei Sachen einbringt. Der knuffige, kleene Racker hat’s rundum echt drauf.

MARIO: Ja, ich bin „der Neue“ und erst in der zweiten Jahreshälfte 2013 dazu gestoßen. Als Außenstehender, der in diese bestehende Band aufgenommen wird, war ich sofort von dem Idealismus, dem sehr ausgeprägt ausgelebten DIY-Gedanken und der ganzen Liebe zum noch so kleinen Detail total beeindruckt. Ich genieße und freue mich auf die turbulente Zeit, in der wir gerade stecken und die gerade ansteht und bin gespannt, was da noch alles kommen wird.

notgemeinschaft_gruppen2VON STEMMEN HABE ICH IN EINEM INTERVIEW GELESEN, DASS ER WEGEN DER LIEBE ZUM FC ST. PAULI NACH HAMBURG GEZOGEN IST. SIBBE IST JA EBENFALLS SCHWER AKTIV IN DER FANSZENE VON ST. PAULI. WIE SCHAUT ES MIT DEM REST DER BAND AUS? AUCH ALLE ST. PAULI FANS?

STEMMEN: In meinem Fall war das damals so, ja. Sibbe und ich sind auch immer noch aktiv rund um unseren Club, aber Band und Fußball haben wir vordergründig schon ziemlich früh getrennt, so wie Staat und Kirche, ha ha. Mit Ausnahme von Ronny, unserem letzten, festen Schlagzeuger, der auch zum FC ging, hatte immer eine Hälfte der Notgemeinschaft kaum bis gar nichts dafür übrig. Da wäre es doch total unangemessen gewesen, Sibbe und mich sozusagen “hervorzuheben” und sich als die “FC St.Pauli Punkband” hinzustellen. Mal ganz abgesehen davon, dass wir dieses Etikett eh nie anhaften haben wollten, auch wenn sich das natürlich nie ganz vermeiden lies, was anderseits aber auch voll okay ist. Doch mit Trikot auf der Bühne oder so sieht man auch zukünftig sicher keinen von uns.

SIBBE: Dass wir eine St. Pauli-Kapelle sind ist also eher ein Trugschluss. Als wir anfingen Konzerte zu spielen waren es halt einfach oft Kontakte aus dem Fußballumfeld, die Stemmen und ich eben hatten. Daher spielten wir unser erstes, richtiges Konzert im Jolly Roger und hatten auch so noch ein paar Auftritte rund um den FC St. Pauli, z.B. bei der Jahr100Feier, dem Hafengeburtstag 2011 etc.

MARIO: Mit Fußball habe ich wirklich nicht viel am Hut, in mir kommt aber leichte Schadenfreude hoch, wenn der HSV verliert und ein kleines sympathisierendes Lächeln, wenn St. Pauli gewinnt.

ORI: Nö!

OBWOHL MINDESTENS DIE HÄLFTE VON EUCH FANS DER KIEZKICKER SIND, VERMISSE ICH AUF EUREN BISHERIGEN ALBEN EINEN LUPENREINEN FUSSBALLSONG. WIRD ES DAFÜR NICHT MAL LANGSAM ZEIT?

SIBBE: Nö, genau aus dem Grund weil wir eben nicht alle fußballverrückt sind. Wir achten schon sehr darauf, dass sich alle Peter-Pans mit den Texten die wir schreiben identifizieren können. Lieder über Fußball zu schreiben überlassen wir lieber Marcus Wiebusch oder Thees Uhlmann.

MARIO: … oder den Toten Hosen 😉

STEMMEN: Und außerdem haben wir auf unserem Songchronologie-Tape doch einen reinen Fußballsong in Akustikversion mit drauf! Und wir hatten mit “Reclaim your pub!” ja quasi schon einen halben auf der Narrenhand-LP, das sollte doch mal genügen.

SIBBE UND STEMMEN KOMMEN URSPRÜNGLICH AUS ANDEREN STÄDTEN. WIE SIEHT ES MIT DEM REST DER BAND AUS?

ORI: Ursprünglich komme ich aus Hannover, lebe jetzt aber schon seit 26 Jahren in Hamburg.

MARIO: Aus Lauenburg, Hamburger Vorstadt, sehr idyllisch, direkt an der Elbe, wohl behütet. Es gab nix, was auch nur annähernd mit Punkrock zu tun hatte, außer einem kleinen Haufen von 5-6 Leuten. Und wir wussten, wie wir unsere Vorstadtjugend spannend gestalten konnten. Ab und zu gab es mal Konzerte in Geesthacht und irgendwann hat man sich dann mal nach Hamburg getraut.

SIBBE: Stemmen und ich sind waschechte Dorfpunks.

STEMMEN: Jawohl! Sauerland Asozial, so sieht dat aus!

EINE ZEITLANG HABT IHR DEN SONGTEXT VON “ELBDISHARMONIE” ÜBERALL IN ST. PAULI VERKLEBT. WAS WAR DER ANLASS DAFÜR, GERADE DEN SONG ÜBERALL ZU PLAKATIEREN?

STEMMEN: Nun ja, wir fanden einfach dass wir das Thema textlich schon ganz gut auf den Punkt gebracht haben, um den quasi auch als Mini-Protestpamphlet verwenden zu können. Anfangs haben wir immer auch noch unsere aktuellen Konzerttermine drunter geschrieben und den Hinweis dass der Text halt von uns ist. Die Dinger hingen an fast jeder sauberen Fassade im Viertel, vor allem im neuen Brauereiviertel, weil meine Freundin damals dort gegenüber wohnte. Danach haben wir eine Zeitlang auch noch den Text von “Reclaim your Pub!” gegen Sexismus und Mackertum verklebt. Der hing aber vor allem rund ums Stadion und Fankneipe.

IN “ELBDISHARMONIE” GEHT ES UM DIE GENTRIFIZIERUNG ST. PAULIS. IN DEM SONG HEISST ES AN EINER STELLE “AUS SINGULAR WIRD PLURAL UND AUS ICH ALLEIN WIRD WIR. UND EH WIR UNS VERSEHEN SIND WIR SCHON ZU VIERT, ZU ZEHNT UND DANN NOCH TAUSEND MEHR. GEBT UNS UNSER ST. PAULI WIEDER HER!” EINMAL DAVON ABGESEHEN, DASS DIE TEXTZEILE AN DEN RAUCHHAUSSONG VON TON STEINE SCHERBEN ERINNERT: WIE BREIT IST DER WIDERSTAND GEGEN DIE GENTRIFIZIERUNG WIRKLICH UND GLAUBT IHR, DASS SICH DAS AUFHALTEN LÄSST, UND WENN, WIE?

SIBBE: Die Vorstellung, dass sich die Entwicklung eines Stadtteils aufhalten lässt, und sei sie noch so negativ, ist schon etwas romantisch. Aber Widerstand gibt es selbstverständlich immer noch und wird es auch weiter geben.

STEMMEN: Ich denke es gab und gibt auch einige erfolgreiche Proteste, die eine gewisse Hoffnung am Leben halten lassen. Zumindest mal dass der Wandel nicht weiter so krass schnell voran schreitet. Bestes Beispiel ist der gewonnene Kampf um den Häuserkomplex im Gängeviertel mitten in der City vor 5, 6 Jahren, was damals einfach von einem bunten Haufen Kunstschaffender über Nacht besetzt wurde. Es gab danach zig echt kreative Protestaktionen und Demos, die in der Hamburger Bevölkerung dann auf so große Sympathie gestoßen sind, dass die Stadt den Verkauf an einen holländischen Investor schlussendlich noch platzen ließ. Die hätten den allergrößten Teil davon natürlich abgerissen und luxussaniert.

Aber jetzt finden dort jeden Tag Konzerte, Soliparties, Ausstellungen, etc. für alle Hamburger_innen statt. Das war eine super Aktion!

Die größten Demos der letzten Jahre in Hamburg, mit mehreren tausend Teilnehmern, zeigen dass Otto Normal so langsam auch endlich mal auf dieses Problem aufmerksam geworden ist, wenn nicht sogar bereits selbst betroffe. Leider geht die Hamburger Polizei bei Hausbesetzungen äußerst rabiat vor und schafft es diese meist noch in der selbigen Nacht zu beenden. An der Umsetzung hapert es eben noch etwas, Möglichkeiten gibt es hier auf jeden Fall in Hülle und Fülle.

MARIO: Naja, aber wo kämen wir denn da hin, wenn man mit dem Gedanken, dass es eh nichts bringen wird, auf die Straße zu gehen und sich aufzulehnen? Meiner Meinung nach könnte der Widerstand noch um einiges größer sein, schließlich ist ganz Hamburg von diesem Problem betroffen und dafür finde ich, ist die Masse an Gegenwehr noch nicht breit genug.

STEMMEN: Größer und gerne auch wesentlich radikaler!

WENN MAN IN BEZUG AUF DIESEN TEXT GEMEIN WÄRE, KÖNNTE MAN SAGEN, DASS IHR GEWISSERMASSEN AUCH TEIL DES PROBLEMS SEID, SCHLIESSLICH SEID IHR AUCH VON AUSWÄRTS NACH ST. PAULI GEZOGEN WEGEN DES GUTEN RUFS, DEN DER STADTTEIL INNERHALB DER LINKEN SZENE HAT, UND HABT MIT EURER KREATIVITÄT, EUREM ENGAGEMENT POLITISCH UND KULTURELL DORT ETWAS AUF DIE BEINE ZU STELLEN, SOZUSAGEN MIT DAFÜR GESORGT, DASS ST. PAULI FÜR HIPPE YUPPIES ATTRAKTIV WIRD.

SIBBE: Das ist gar nicht so gemein. Wir sind uns dessen sehr bewusst und haben das auch immer so gesagt. Uns geht in erster Linie auf den Keks, dass es Leute gibt, die die “Marke” St. Pauli konsumieren ohne selber etwas dazu beizutragen, dass dieser liebenswerte Stadtteil weiter so bestehen kann. Es gibt eben diejenigen, die selbstlos geben, Geflüchteten helfen, Kultur schaffen, Wände bemalen, musizieren, sich engagieren und so weiter. Und auf der anderen Seite sind dann welche, die sich vor Streetart räkeln und abfotografieren lassen ohne jemals selber eine Sprühdose in der Hand gehalten zu haben. Dass sich die hippen Yuppies von uns als Band angezogen fühlen bezweifle ich aber jetzt einfach mal.

STEMMEN: Na, das hoffe ich doch sehr! Auf der neuen Platte ist ein sehr schöner Song namens „Generation Spaß macht ernst“, der genau das Thema behandelt.

MARIO: Deswegen wohne ich auch im beschaulichen Eilbek.

ORI: Da kann ich mich nur anschließen, der Text von “Generation Spaß macht ernst” trifft das ganze sehr genau.

HAMBURG IST JA SEIT EINIGER ZEIT WEGEN SEINER RESTRIKTIVEN INNENPOLITIK INS GEREDE GEKOMMEN. STICHWORT GEFAHRENGEBIET, ODER AUCH DIE NACHRICHT, DASS POLIZEI JAHRELANG EINE VERDECKT-ERMITTELNDE POLIZISTIN IN DIE LINKE SZENE EINGESCHLEUST HATTE. WIE SEHR WART IHR VON DEM GEFAHRENGEBIET BETROFFEN? WIE GEHT MAN DAMIT UM? HASST IMMER NOCH GANZ HAMBURG DIE POLIZEI?

SIBBE: Da ich nur einen “Steinwurf” von der Lerchenwache (PK16) entfernt wohne habe ich natürlich die volle Breitseite des Gefahrengebiets mitbekommen. Nach den ersten Kontrollen haben wir dann angefangen unsere Rucksäcke mit irgendeinem Scheiß voll zu laden und sind mit ein paar Leuten jeden Abend spazieren gegangen, um weitere Kontrollen zu provozieren. In den Rucksäcken waren dann die tollsten Gegenstände zu finden. Von der Benjamin-Blümchen-wird-Polizist-Kassette über Beutel mit Hundekot konnte sich die Polizei über so einiges freuen. Unter anderem kam es in diesem Zuge ja auch zu dem Widerstandssymbol der Klobürste.

Zu der verdeckten Ermittlerin kann ich nicht viel sagen. Ich kenne die Person nicht. Aber es ist natürlich erschütternd wenn so eine Sache ans Tageslicht kommt. Und es trägt dazu bei, dass immer noch ganz Hamburg, zumindest die Leute mit denen wir uns umgeben, die Polizei hasst.

GENERELL SCHEINT ES VON AUSSEN BETRACHTET SO, DASS DIE POLIZEI IN HAMBURG EIN SEHR ENTSPANNTES VERHÄLTNIS IM UMGANG MIT DER WAHRHEIT HAT. DER ANGEBLICHE ANGRIFF VON AUTONOMEN AUF DIE DAVID WACHE HAT SICH JA ALS DREISTE LÜGE HERAUSGESTELLT. GAB ES DA IRGENDWELCHE KONSEQUENZEN FÜR POLIZEI ODER INNENSENATOR ODER HAT SICH DAS IM SANDE VERLAUFEN?

SIBBE: Wenn über solche Dinge wie Angriffe auf Polizeiwachen berichtet wird, sind die Zeitungen voll davon. Stellt sich alles als unwahr heraus gibt´s als Richtigstellung die Randnotiz, wenn überhaupt. Ich denke nicht, dass die Verantwortlichen da mit irgendwelchen Konsequenzen rechnen müssen. Und der verantwortliche Innensenator ist ebenfalls noch im Amt. Die einzige Konsequenz daraus ist der wachsende Unmut und das Misstrauen gegenüber der Polizei.

DIE ROTE FLORA WURDE VON DER STADT HAMBURG JA NEULICH ZURÜCKGEKAUFT. IST DAS EIN GUTES ZEICHEN FÜR DEN LANGFRISTIGEN FORTBESTAND DER FLORA?

SIBBE: Meiner Meinung nach spielen die Besitzverhältnisse keine Rolle. Die Flora ist besetzt und das wäre sie auch mit dem “Besitzer” Kretschmer geblieben. Mal sehen was in Zukunft passiert, 2015 wird erstmal in Eigeninitiative saniert und renoviert.

STEMMEN: Dass der SPD-geführte Senat die Flora zurück gekauft hat ist insofern ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Stadt weiterhin Schiss vor einer möglichen Räumung und den damit verbundenen Konsequenzen hat und das empfinde ich ehrlich gesagt schon als beruhigend, ha ha. Wie Sibbe schon sagte, es ist schlussendlich egal wem sie laut deren Amtspapieren offiziell gehört, weil sie besetzt bleiben wird.

MARIO: So oder so bleibt die Flora unverträglich! In dem Fall kann wenigstens nicht irgendein Privatinvestor irgendwelche aufgetakelten Konsumtempel planen, die nur für Unruhe sorgen und sowieso einen riesen Widerstand erwarten würde. Wie die Stadt jetzt in Zukunft damit umgeht, werden wir sehen, es bleibt auf jeden Fall erstmal so wie es ist und die Stadt hat ja auch Interesse daran, dass es ruhig bleibt.

AUF EURER SPLIT-12” MIT MAISON DERRIERE UND EUREM DEMO GAB ES NOCH EINIGE LIEDER MIT ENGLISCHEN TEXTE, AUF DEN BEIDEN SPÄTEREN VERÖFFENTLICHUNGEN DANN NICHT MEHR. EINE BEWUSSTE ENTSCHEIDUNG VON EUCH ODER ZUFALL?

STEMMEN: Ich denke das war damals einfach Zufall und würde auch überhaupt nicht ausschließen dass wir noch einmal einen englischen Text vertonen werden. Die allerersten Songtexte waren auch allesamt von Sibbe, ich selbst drücke mich lieber in der eigenen Sprache aus, weil das bei mir auch eh immer schon so’n Akt ist, meine Gedankengänge einigermaßen schlüssig in Reime zu packen.

SIBBE: Auf Deutsch zu schreiben fällt mir einfach leichter. Ich denke dabei wird es erstmal bleiben.

IN “KAMPFANSAGE STAGNATION” WETTERT IHR JA AUF DER A-SEITE GEHÖRIG GEGEN ALTPUNKS. JETZT DÜRFTET IHR LANGSAM, TROTZ PETER PAN SYNDROM, IN EIN ALTER KOMMEN, IN DEM IHR FÜR JUNGE PUNKS ZU DEN ALTPUNKS GEHÖRT. WIE VERHINDERT IHR ES, SELBST SO ZU WERDEN WIE ALTEN?

SIBBE: Das verhindern wir, indem wir die nachrückende Generation ernst nehmen und nicht ständig erzählen wie geil früher alles war. Und wenn du mich noch einmal als “Altpunk” bezeichnest kacke ich dir vor die Hütte.

MARIO: Da ich noch jenseits der 30 bin, verbitte ich mir diese Frage.

ORI: Sag mal Mario, findest du uns etwa alt?

MARIO: Tschuldi Ori!

IM MAI IST EINE NEUE PLATTE VON EUCH ERSCHEINEN. KÖNNT IHR DAZU ETWAS NÄHERES ERZÄHLEN?

SIBBE: Nächste Woche geht´s in die Freezer Studios zu Lennert nach Neunkirchen bei Soltau. Dort haben wir bereits unsere 7” aufgenommen und uns sehr wohl gefühlt. Die neue Platte wird wenn alles klappt im Mai erscheinen und so viel sei vorab verraten, es wird in Sachen Artwork mal wieder ein Haufen Arbeit auf uns zukommen! Bei der Veröffentlichung bekommen wir dieses Mal ordentlich Unterstützung von Riot Bike Records, RilRec und Kidnap Music. Ein Riesendankeschön schon mal an die Labels, die quasi die Katze im Sack gekauft haben und uns ihr Vertrauen entgegen bringen.

MARIO: Ich finde, dass sich der textliche, wie auch musikalische Abwechslungsreichtum der vergangenen Platten, weithin fortsetzt. Ich muss gestehen, dass ich hier und da ein paar Schwierigkeiten hatte, mir selbst und den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Ich habe vorher immer mit den gleichen Leuten Musik gemacht und ich habe gemerkt, wie festgefahren ich selber war und habe versucht das abzuschütteln. Neu war für mich auch, dass die Melodien fast ausschließlich vom Bass kommen und Sibbe, Ori und Stemmen teilweise Vorstellungen hatten, wie ich das Schlagzeug spielen könnte. Ich wurde mehr gefordert, als ich das bis dahin kannte, aber das ist gut so, das bedeutet Weiterentwicklung und das macht Spaß. Ich habe das Gefühl, dass wir uns alle mit den neuen Stücken sehr wohl fühlen, jetzt kommt es nur noch darauf an, dieses Gefühl auch aufs Tonband zu transportieren.

STEMMEN: Ihr kleinen Angeberchen, ey! Fakt ist, dass es insgesamt 11 Songs auf Vinyl werden und wir immer noch etwas mitzuteilen haben. Aber wenn diese Ausgabe hier erscheint ist die Scheibe wahrscheinlich eh schon draußen, von daher darfst du es dann bereits hören.

BEI EUREN BEIDEN VORHERIGEN VERÖFFENTLICHUNGEN HATTE ICH DAS GEFÜHL, DASS ES EIN OBERTHEMA GIBT, DASS SICH WIE EIN ROTER FADEN DURCH DIE PLATTE ZIEHT. BEI DER “MIT HERZBLUT UND NARRENHAND” WAR DAS HAMBURG, BEI DER “KAMPFANSAGE STAGNATION” ALTPUNKS. WIRD ES AUCH AUF DER NEUEN PLATTE EIN “OBERTHEMA” GEBEN?

SIBBE: Auch bei der neuen LP wird es so was wie einen roten Faden geben. Allerdings gehen die Themen jetzt ein bisschen weiter über die Grenzen Hamburgs hinaus. Von Hagenbecks Tierpark, bis in den Nahen Osten, Grauzone, Freundschaft, Liebeskummer, Homophobie, alles dabei…

STEMMEN: …was uns halt aktuell so nervt.

MARIO: Die Platte wird schon thematisch breitgefächerter sein, den roten Faden wird man dann vielleicht eher beim Visuellen erkennen. Der Titel kombiniert mit dem Coverartwork, sowie das geplante Video und sicherlich die zukünftige Flyergestaltung. Ich glaube aber nicht, dass man den, wie bei den von dir erwähnten Platten auch hören wird. Dafür bedienen wir uns dieses Mal an zu vielen unterschiedlichen Thematiken.

STEMMEN: Es wird definitiv keine zweite “Hamburg Pladde”, wie die Narrenhand-LP gerne umschrieben wurde. Das sollte diesmal auch ganz bewusst nicht so sein, da sind wir dann doch mal einen Schritt vor die Tür gegangen und haben uns dort umgeschaut. Also einfach gesagt, der rote Faden ist Notgemeinschaft Peter Pan! Ha, den kannste ja glatt als Überschrift verwenden, hö hö! Unsere Art Punkmusik zu machen war ja immer schon eher breiter gefächert und das ist es diesmal halt auch.

ORI: Aber auch bei den letzten Platten waren die “roten Fäden” nicht geplant. Die Themen haben sich beim Songschreiber einfach so ergeben und genau so war es bei der neuen Platte auch, was raus musste musste raus.

SIBBE DU HAST DIE NOTGEMEINSCHAFT JA KURZ NACH DER VERÖFFENTLICHUNG VON „DIRIGENTEN. DOMPTEURE. DIKTATOREN.“ LEIDER VERLASSEN UND DIE NOTGEMEINSCHAFT WIRD OHNE DICH WEITER DURCH DIE LANDE ZIEHEN. MAGST DU ETWAS ZU DEINEN BEWEGGRÜNDEN ERZÄHLEN?

SIBBE: Wer meinen Abschiedsbrief, bzw. den Tourbericht meines letzten Nimmerland-Abenteuers auf „Die Menschheit“ gelesen hat, weiß, dass mir der Ausstieg nicht leicht gefallen ist. Am Ende war dann doch eben alles noch emotionaler als ohnehin schon befürchtet. Die Notis haben mir die Sache echt nicht leichter gemacht mit so einer grandiosen Abschluss-Tour. Es geht auch nicht um Lust oder Unlust. Es ist mir einfach nicht mehr möglich gewesen, alles unter einen Hut zu bekommen. Meine Kinder, meine Familie, viele Freunde außerhalb der Band und meine Arbeit um die Band drum herum zu planen war irgendwann einfach nicht mehr machbar und mit dem Gewissen zu vereinbaren schon mal gar nicht. Die Jungs sind mir in sehr vielen Situationen immer wieder entgegen gekommen, wofür ich sehr dankbar bin. Aber irgendwann fühlt man sich trotzdem dann eher wie der Bremsklotz, obwohl man ja eigentlich ein Motor sein will. Auch wenn das alles für mich wohl noch ein bisschen dauert, bis es real wird, freu ich mich gerade sehr darauf, dass ich mehr Zeit für alles andere haben werde, was zu kurz gekommen ist. Ich werde mich aber sicher nicht vergraben, dazu gibt es zu viele Missstände, die ich noch anprangern muss. Wie ich das mache, ohne die Notgemeinschaft als ein Ventil zu öffnen, werde ich mir dann überlegen.

HABT IHR NOCH LETZTE WORTE, DIE IHR DEN LESERN UND LESERINNEN MITTEILEN WOLLT?

SIBBE: Lieber Herr Fatal, bleib so, wie du bist und komm uns mal öfter besuchen.

MARIO: Mit gestrecktem Mittelfinger bedanke ich mich für das Interesse.

STEMMEN: Darf ich ein paar derbst coole Leute vom Plastic Bomb grüßen, ha ha? Scherz! Vielen lieben Dank dass wir so viel Platz in deinem legendären Fanzine voll machen durften! Love is a Punk.

ORI: Auch von mir vielen Dank und bis bald mal wieder!

STIMMT, NACH HAMBURG MÜSSTE ICH WIRKLICH WIEDER MAL. WIRD BALD NACHGEHOLT. VERSPROCHEN. ANSONSTEN BLEIBT MIR NUR VIELEN DANK FÜR DAS INTERVIEW ZU SAGEN UND EUCH DAS BESTE FÜR DIE ZUKUNFT ZU WÜNSCHEN!

Das Interview ist zuerst im gestreckten Mittelfinger #8 erschienen. Wer noch ein Heft haben will, wendet sich einfach vertrauensvoll an mich.

Written by Falk Fatal

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