Welt-Geschichte des Punk oder Rock’n‘Roll-Swindle…?

Unser Gastautor Andreas Kuttner hat die Sampler-Reihe „Punk – a world history“ untersucht. Menschen, deren Musiksammlung ausschließlich aus einem Ordner auf der Festplatte oder einem Abo bei Spotify besteht, halten diesen Artikel für unnützes Wissen. Alle anderen werden eine Menge lernen.

„Punk – a world history“ genießt unter den meisten Punk-Freunden keinen allzu guten Ruf. Danach befragt, meinten viele, das sei eine reine Rip-Off-Serie, die zudem Songs in meist schlechter Soundqualität abgeliefert hätte. Das Label habe auch sonst nur Schrott veröffentlicht. Einer sprach von einem „kruden Mix“, ein anderer von der „sickest „Punk“-Compilation ever!“ In der Tat sind auf den Platten, soviel vorweg, einige Songs zu finden, bei denen man sich durchaus fragt, wieso ausgerechnet diese auf eine Zusammenstellung mit dem Titel „Punk – a world history“ gepresst wurden. Die Soundqualität ist jedoch für meine Begriffe ganz überwiegend brauchbar bis gut; es überwiegen Studio-, nicht etwa grottige Live-Aufnahmen.

Es muss um das Jahr 1990 gewesen sein, dass ich mir als eine meiner ersten Punk-Platten Teil 6 dieser Sampler-Reihe kaufte. Mitverantwortlich für den Kauf war sicher das Cover-Artwork, das mich in seiner reißerischen Schrillheit überzeugte. Ein ungewaschener Johnny Rotten, der hier wie eine Ikone abgebildet ist, ebenso die anderen Gesichter und Ausschnitte, dazu die Schriftzüge der Bands im Erpresser-Brief-Look: das schien für mich damals wahrer „Punk“ zu sein, wie es ja auch die große rote Überschrift versprach! Sicher spielte auch der Gedanke mit, neben den mir damals bereits bekannten Sex Pistols noch weitere Bands kennenzulernen.

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Die Debüt-LP der Terrorgruppe, Musik für Arschlöcher, zitiert eine der verrückesten Samplerreihen der Punk-Geschichte.

2015, schlappe 25 Jahre später, sah ich einen weiteren Teil dieses Samplers für günstiges Geld in einem Plattenladen und griff zu. Die Covergestaltung und das hochtrabend-großmäulige Gesamtkonzept, das vorgibt, die Welt-Punk-Geschichte abzubilden, überzeugten mich weiterhin. Bis zum Jahresende machte ich meine Sammlung dann noch komplett und besitze nun alle sechs Teile.

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Walli statt Johnny Rotten, ansonsten ist die Ähnlichkeit schon verblüffend...

Allen Unkenrufen zum Trotz muss die Serie auch in der Punk-Szene einen gewissen Eindruck hinterlassen haben. So erfuhr ich über Umwege von jemandem, der es wissen muss, dass sich die Terrorgruppe beim Artwork ihres ersten Albums „Musik für Arschlöcher“ 1994 jenes von „Punk – a world history“ als Vorlage genommen hat. Per Facebook bekam ich zudem den Hinweis auf ein Konzertplakat des AJZ Wermelskirchen, das ganz im Stile von „Punk – a world history“ ein Konzert mit Toxoplasma und Cyanide Pills im April 2015 ankündigt. Ich war also nicht der einzige, auf den diese Serie eine gewisse Faszination ausgeübt hat. Als ich bei ersten Kurz-Recherchen merkte, was für interessante Geschichten hinter diesem Sampler stecken, begann ich, mich mehr mit ihren Hintergründen zu beschäftigen…

„Punk – a world history“ erschien als LP-Reihe ab dem Jahr 1987. Bereits auf Volume 1 ist vermerkt, dass es sich um eine sechs-teilige Serie handelt, das scheint also von Vornherein festgestanden zu haben. Ob das bedeutet, dass alle Teile des Samplers gleichzeitig erschienen, ist mir bisher unbekannt geblieben. Die Tatsache, dass es auch eine Box dieses Samplers gibt, laut Discogs ebenfalls 1987 erschienen, in dem alle sechs LPs mit drin sind, könnte aber darauf hinweisen, dass tatsächlich alle sechs Teile gleichzeitig veröffentlicht wurden. Die Serie erschien zu einem unbekannten Zeitpunkt auch auf CD, dabei wurden dann jeweils zwei Volumes auf eine CD gepackt, so dass es also insgesamt drei CDs gibt. Zwei dieser drei CDs haben ein farblich etwas abgewandeltes Artwork als die LPs. Später gab es dann nochmals eine weitere Auflage der CDs, die dann wieder das originale Artwork haben. In Deutschland wurden LPs, Box und CDs offenbar über den Independent-Groß-Vertrieb SPV verkauft. Interessant ist weiterhin, dass es laut Discogs 1991 in Polen eine Tape-Version zumindest der Volumes 3 + 4 auf einer Kassette gab. Auch wurden in den frühen 90ern in London T-Shirts mit dem Motiv der Sampler-Reihe verkauft.

„Punk – a world history“ wurde vom englischen MBC-Label veröffentlicht, wohinter Jock McDonalds (bürgerlicher Name: Patrick Joseph O’Donnell), der Sänger der Bollock Brothers, steckte („McDonalds Bros. Cooperation“). McDonalds scheint eine äußerst schillernde Person gewesen zu sein. Zunächst Inhaber eines Plattenladens in Leicester, zog er 1976 nach London um und stürzte sich ins Geschehen der Punk-Metropole, wurde im Frühjahr 1978 bis zu dessen Ende im April Geschäftsführer des legendären „Roxy“-Clubs. Ende 1978 organisierte er die ersten Konzerte von P.I.L., und im Jahr 1979 gründete er zusammen mit Johnny Rottens jüngerem Bruder Jimmy die Band 4“ Be 2“, woraus im weiteren Verlauf schließlich die Bollock Brothers wurden.

Festzuhalten ist, dass er offenbar fest im innersten Kern der Londoner Punk-Szene verankert war: er dürfte „alle“ gekannt haben, und „alle“ dürften auch ihn gekannt haben. Festzuhalten ist weiterhin, dass er ständig an irgendwelchen neuen Projekten strickte, dabei aber von den Beobachtern in England spätestens seit der 1983 erschienenen Bollock Brothers-LP „Never mind the Bollocks 1983“, auf dem die Band in sehr eigener Weise das komplette Sex Pistols-Album von 1977 nachspielte, nicht recht ernst genommen wurde. Er scheint sich wie ein kleiner Malcolm McLaren aufgeführt zu haben, der versuchte, durch Skandale wie etwa die Verpflichtung eines provokanten Gastmusikers wie des aus der Psychiatrie entlassenen Kleinkriminellen Michael Fagan, der 1982 nachts in das Schlafzimmer der Queen eingestiegen war, Aufmerksamkeit im Punk-typischen Stile zu erhaschen.

Auch das Motto „Cash from Chaos“ scheint ihm nicht fremd gewesen zu sein. Womit wir fast bei „Punk – a world history“ angekommen wären. Zuvor gab es jedoch bereits 1986 den Sampler „The very best of British Punk“ auf seinem MBC-Label, das offenbar 1986 gegründet worden war und als erste Veröffentlichungen rätselhafte Sex Pistols-Aufnahmen veröffentlicht hatte, mit denen McDonalds gute Verbindung zur Familie Lydon dokumentiert werden. Auf „The very best of British Punk“ sind bereits viele Songs enthalten, die wenig später auch auf „Punk – a world history“ zu finden sein werden. Im Folgenden will ich die sechs Teile der Reihe systematisch durchgehen und zum ein und anderen Song einige Bemerkungen machen.

Vol. 1 beginnt Punk-kompatibel mit einer guten Studio-Version des Songs „Personality crisis“ der New York Dolls, gefolgt von einer rauhen, aber okaynen Version von „Pretty vacant“ der Pistols. Als Lied A3 überrascht jedoch Keith Bradshaw mit dem Song „Bond is back“. Dieses Stück erweist sich schlicht als 1:1-Kopie der James Bond-Melodie! Keith Bradshaw war Manager der Alaska Studios in London und arbeitete in den frühen 80er Jahren einige Zeit mit McDonalds zusammen. Nach Generation X (live), den Heartbreakers („Chinese rock“), Adverts („Garry Gilmore’s Eyes“ mit doppeltem „rr“ zu lesen, tut dem Auge ein bisschen weh…), UK Subs und einem weiteren Song der New York Dolls folgt dann mit „Wet dream“ ein astreiner Reggae-Song von Max Romeo. Wie zum Teufel kommt dieser auf einen Punk-Sampler?! Wikipedia erklärt, dass dieser Song von 1968 wegen des „derb-anzüglichen Textes von der BBC verboten“ wurde, er sich aber nicht zuletzt deswegen über 250.000 Mal verkauft habe. Ob der Song aus jenem Grunde auch noch zur relevanten Punk-Zeit, also Ende der 70er, in subversiven Kreisen noch ein Hit war, wage ich zu bezweifeln… Und skurril geht es danach gleich weiter, wenn „Lydon-O’Donnell“ futuristischen, durchaus interessanten Orgel-New Wave spielen. In Wirklichkeit handelt es sich hierbei um die bereits oben erwähnte Band 4“ Be 2“ von Jock McDonalds himself. Warum er diese nicht mit ihrem wirklichen Namen nennt, weiß er vielleicht nur selbst… Oder klingt der Namens-Teil „Lydon“ einfach besser und verkaufstechnisch attraktiver?! Interessanterweise ist dieses Lied auf der Box ersetzt durch den Song „Cut Across Shorty“ von Eddie Cochran – aus dem Jahr 1963! Danach eine weitere Skurilität, und zwar die Formation Screaming Lord Sutch mit dem Song „Jack the ripper“. Ein Grusel-Song, den es mindestens seit 1964 gibt. Wieder die Frage: what the hell, wie kommt der Song auf einen Punk-Sampler?! Es darf spekuliert werden… Zum Schluss folgt eine Studio-Version von Sid Vicious„Something else“.

Klassischer Start in die Nr. 2 mit „Where have all the bootboys gone“ von Slaughter and the Dogs. Als zweites folgen Exploited als Vertreter der “zweiten Generation” mit “Maggie”. Der dritte Song bedient wieder die Reggae-Fans und Rätselnden, was solch ein Lied auf einem Punk-Sampler zu tun hat: The Piglets mit „Johnny Reggae“. Einem Song aus dem Jahr 1971, der es in die Top 3 der UK-Charts schaffte. Gefolgt von den Pistols mit einer Live-Version von „Friggin in the riggin“, das hier „Give it some bollocks“ betitelt wird. A5 ist „Your generation“ von Generation X. Die A-Seite beenden dürfen dann die Bollock Brothers, bekanntermaßen die eigene Band des Herausgebers, mit dem kurzen Song „I can’t explain“.
B1 gibt schon wieder Rätsel auf: was soll „Summertime blues“ von Eddie Cochran (hier nur Eddie C betitelt), aufgenommen 1958, auf einer Punk-Platte?! Vibrators‘ „Baby Baby“ klingen natürlich kompatibler. Dass es sich bei der nun folgenden Band „Dave & Ansel Collins“ um eine jamaikanisches Reggae-Duo handelt, das um 1971 internationale Erfolge feierte, verwundert einen schon gar nicht mehr… Punk-kompatibler klingt „I don’t wanna be found“ der schottischen Band Baby’s got a Gun, über die nicht viel bekannt ist, außer, dass sie von 1985-1995 bestand und ausgerechnet 1987 – wir erinnern uns, da erschien auch diese Sampler-Reihe – eine 4-Song-12“ eben auf MBC Records veröffentlichte. Da hat der gute Sampler-Zusammensteller offensichtlich versucht, eine seiner Label-Bands als Punk-Klassiker zu verkaufen… Ein solcher absoluter Klassiker ist natürlich Wires „1,2, X, U“, das nun folgt, ehe diesen Teil die Stranglers mit „Get a grip on yourself“ beenden.

In die dritte Runde geht es mit einem ewig langem Song von Lydon-O’Donnell (= 4“ Be 2“), dann folgen Vibrators mit „London girls“. Das angekündigte Bill Grundy Interview mit den Pistols fehlt! Stattdessen gibt es Gen X live, die Pistols mit „Stepping stone“ (Studio-Demo wie auf dem “Great Rock’n’Roll swindle”-Album), GBH“City attacked by rats”, Ruts“In a rut”, Saints – “Stranded”, Slaughter and the Dogs“Cranked”, Johnny Moped“Incendiary Device”, Boys„first time out“ (eigentlich heißt es ja nur “First time”…) und Chelsea“Right to work”. Insbesondere bei dieser Volume gibt es Sound-mäßig nichts zu meckern – bis auf den Song von Generation X sind alles Studio-Songs! Auch ist das mal ein Teil, auf dem die sonst üblichen Ausflüge ins Reggae-Genre fehlen.

Vol. 4 beginnt mit blaring Punkrock von Raped: “Moving target”! Das nächste Lied klingt wie eines von Cure… und tatsächlich, es ist “Plastic passion” von The Cure, angeblich in einer Version von 1977! Im Anschluss zweimal The Damned – zunächst „Billy bad breaks“, das erstmals 1981 auf der „Friday 13th E.P.“ erschienen war, und anschließend „Citadel“, ebenfalls von „Friday 13th E.P.“, die credits gehören Jagger und Richards, es ist also ursprünglich ein Rolling Stones-Song! Anschließend heizen G.B.H. mit „Sick boy“ ein, ehe Angelic Upstarts mit einer feinen Version von „The young ones“ die A-Seite beenden. Die B-Seite eröffnen die New York Dolls mit „Jet boy“, einer korrekten rockigen Punk-Nummer. Als zweites lärmen sich die Pistols live in etwas mülligem Sound durch „No fun“. „Keys to your heart“ von Joe Strummer’s 101 ist ein Protopunk-Stück, dem noch etwas der Punk-Biss fehlt. The Clash mit auf den Sampler zu nehmen, hat er sich – sicher aus rechtlichen Gründen – nicht getraut, schätzungsweise deshalb müssen die 101ers herhalten. War man bis hierher schon geneigt, diesen Teil der Serie als relativ straight und punkrockig anzusehen, kommen nun The Surfaris mit dem Song „Wipe out“. Das ist kein Fake-Name, diese Band gab’s vielmehr tatsächlich und brachte 1963 die Single „Surfer Joe“ c/w „Wipe out“ heraus. Das gute Stück wurde mehrmals in allen möglichen Ländern wiederveröffentlicht, im Januar 2016 werden bei Discogs exakt 247 Exemplare angeboten, beginnend ab einem Preis von 54 Cent… Warum und weshalb auf dieser Platte… wir wissen es wiederum nicht… „Lust for glory“ von Angelic Upstarts ist wieder klassischer Punk. Ehe Eddie C. mit „Weekend“, einer Single von 1960 (!), die Platte ausklingen lässt. Was sehe ich da? Im Jahr 1986 erschien bei MBC Records unter dem Titel „The battle of the rockers“ eine Split-LP mit je 4 Songs von Eddie Cochran und – Sid Vicious…! 😉 Wer, bitte, wer hat sich damals solch eine bescheuerte Zusammenstellung gekauft…?!

 

Vol. 5 eröffnen The Underground (angeblich Velvet Underground) mit “Venus in Punk” (eigentlich „Venus In Furs“?), und die Version klingt, als sei aus dem Radio mitgeschnitten worden… Den zweiten Song steuert wieder sein Kumpel Bradshaw mit „The good, the bad, the ugly“ bei, unter dem vollen Namen Bradshaw’s Surrey Dockers. Das ist exakt die unveränderte, klassische Soundtrack-Version, die eigentlich von Ennio Morricone geschrieben wurde. A3 bestreitet nochmals das bereits von Vol. 2 bekannte jamaikanische Reggae-Duo Dave and Ansil Collins mit ihrem Hit „Double barrel“. Es folgen Studio-Songs von Ramones – “Do you wanna dance” sowie Slaughter and the Dogs (“Run away”), ehe die Buzzcocks mit der auch vom “Live at the Roxy”-Sampler bekannten Live-Version von “Break down” die A-Seite beenden. Es folgen The Unwanted mit “Freedom” (live), die Ramones mit “Sheena is a Punkrocker”, Pistols – “Anarchy in the USA” (auf der Box steht “Anarchy in the U.K.”, und es ist einfach die Version vom “Never mind the bollocks”-Album!), The Idiots – “The laughing policeman” (eine Single von 1965, die Band heißt eigentlich The Village Idiots!), dem jamakanischen Sänger Paul Davidson – Midnight rider (von 1975…). Abschließend beendet “Oh bondage, up yours” von X-Ray-Spex diesen Teil der Reihe mit der vom “Live at the Roxy”-Sampler bekannten Live-Version.

Vol. 6 starten die Ramones mit “Rockaway beach”, anschließend kommen die noch fehlenden beiden Songs von The Damneds „Friday 13th E.P.“ von 1981, nämlich „Disco Man“ und „The Limit Club“. Beides tolle Wave-Punk-Songs! Die beiden anderen dieser 4-Track-7“ wurden ja bereits auf Vol. 4 verbraten. „Straight to death“ von The Resistance ist schön melodischer Punk! Von der Band ist neben diesem Song nur der Track „Hollywood girls“ bekannt, auf einem weiteren Sampler namens „Rock Rebel Quality (Best British Punk)“, hinter dem ziemlich sicher auch McDonalds steckt, heißt sie French Resistance. A5 sind die Bollock Brothers mit dem durchaus fähigen Wave-Song „Count Dracula“ (passend zu der Einschätzung des Verfassers des im übrigen äußerst unterhaltsamen Wikipedia-Artikels über die Bollock Brothers, „Monsterfilme und Katholizismus“ seien bei McDonalds dominierende Themen…), ehe es nochmal die Pistols live gibt, diesmal mit einer geil kernigen Version von „Substitute“.

B1 ist Sid Vicious mit „Search and Destroy“ live… er konnte schon was, der gute Sid! Der Sound ist zwar derb und rauh, aber der Song ist wirklich top gesungen! Etwas besserer Sound, aber ebenso rauh und derb und Punkrock mit rotziger Ansage ist nun Johnny Moped‘s „Hard lovin man“! Auf Bollock Brothers Live-Song „Loose“, einer korrekten Wave-Nummer mit viel Orgel, folgen zwei supergeile Live-Aufnahmen von Eater, nämlich „Don’t need it“ und „15“, beide Versionen sind auch bekannt vom „Live at the Roxy“-Sampler. Und zum Abschluss nochmal die Pistols live mit „Dolls“. Insgesamt ist dieser sechste und letzte Teil der Reihe neben Volume 3 der mit Abstand straighteste, hier ist nun wirklich kein Ausfall bzw. Ausrutscher ins Rock’n’Roll-/Surf- oder Reggae-Genre zu verzeichnen!

Zwischenfazit. Dokumentiert die Sampler-Reihe „A world history“, also eine Welt-Geschichte des Punk? Naja. An Punk-Bands sind fast ausschließlich Bands aus England enthalten. Als Ausnahmen gehen nur durch: die New York Dolls, Heartbreakers und Ramones aus den USA sowie die Saints aus Australien. Max Romeo, Dave and Ansil Collins und Paul Davidson sind zwar aus Jamaika, haben aber nichts mit Punk zu tun. Aber selbst wenn man den Titel “A world history” anders verstehen würde, nämlich als die Geschichte einer Bewegung, die in der ganzen Welt wirksam geworden ist, würden mit The Clash und The Jam mindestens zwei der prägendsten Bands fehlen, die auf eine amtliche, vertretbare Übersicht über die frühe Punk-Geschichte zwingend gehören würden. Eine „individuelle“, um nicht zu sagen eigenartige Note ist bei der Auswahl der Bands und Songs auf jeden Fall vorhanden. Nicht nur dann, wenn McDonalds versucht, Geschichte umzuschreiben, und seinen eigenen Bands oder Bands von seinem MBC-Label ein Denkmal setzen möchte.

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A propos Label. Es ist davon auszugehen, dass er The Clash, The Jam und andere reale Größen (an Sham 69 hätte man noch denken können, ebenso an Dead Kennedys oder Misfits aus den USA) deshalb nicht mit verbriet, weil er nicht die Rechte für die Songs bekam bzw. Ärger befürchtete, wenn er diese einfach ungefragt mit drauf nahm. Etwas schleierhaft ist dieser Fakt bei den Bands, die sich tatsächlich auf dem Sampler wiederfanden. Denn schließlich dürften, wie oben festgestellt, ihn als zentrale Figur der Londoner Szene „alle“ gekannt haben und er hat ja auch seinen Namen und den seines Labels nicht verheimlicht. Übereinstimmend wird „Punk – a world history“ als eine bestenfalls halb-legale Geschichte angesehen, niemand kann sich vorstellen, dass Jock McDonald wirklich alle Bands und Rechte-Inhaber um Erlaubnis gefragt hätte, geschweige denn, dass sie von den Einnahmen hätten profitieren können. Schon gar nicht die Leute aus Jamaika, die aus seiner Sicht sicher „schön weit weg“ waren, oder die Leute, deren Songs er wahlweise mit völlig anderem Interpreten- oder verändertem Song-Titel übernahm. Selbstredend werden übrigens weder auf den LP-Covers noch auf den Labels die verantwortlichen Künstler genannt.

Wenn man die Bands außen vor lassen würde, die er nur mit drauf genommen hat, weil es seine eigenen waren, oder weil sie auf seinem MBC-Label waren, und ebenso die diversen Reggae-/Rock’n’Roll-/u.a. Scherze, erhielte man durchaus einen halbwegs brauchbaren Überblick über End-70er-Punk-Bands aus England. Aber heutzutage, in den Tagen von Youtube & Co., braucht wohl niemand mehr LP-Sampler, um neue Bands kennenzulernen. Insofern dürfte „Punk – a world history“ heute eher nur für Leute interessant sein, die entweder mit einem Sammler-Gen ausgestattet sind und alles haben müssen, oder die – wie ich – ein Herz haben für eine schreierische, hochtrabende, Aufmerksamkeits-erheischende Aufmachung. Bereits Ende der 80er Jahre ließ dieses Artwork an eine andere, frühere Zeit denken. Nicht zuletzt auch durch die simple, aber stylishe weiß-auf-schwarz-Schrift auf der Rückseite des Covers.

Auf der Suche nach brauchbareren Samplern, die man sich anstelle von „Punk – a world history“ zulegen sollte, wurde bei einer Facebook-Diskussion u.a. die Doppel-LP „Burning Ambitions: A History Of Punk“ genannt, bereits 1984 bei Cherry Red erschienen. Eine durchaus interessant aussehende Zusammenstellung, die auch einige Bands enthält, die ich auf „Punk – a world history“ vermisste. Dafür fehlen hier jedoch – aus rechtlichen Gründen – neben Clash und Jam auch noch die Pistols. Und eine „history of Punk“ ohne die Pistols ist schlicht unvollständig. Weswegen auch die Leute gleich zu Hause bleiben dürfen, denen nun Sampler wie „Killed By Death“, „Bloodstains“, „Back to Front“ oder jüngst die „Punk 45“-Reihe einfallen. Auch wenn dort häufig musikalisch sehr gute Lieder dokumentiert sind, handelt es sich in aller Regel bestenfalls um „One-hit-wonders“ oder Bands aus der zweiten, wenn nicht gar dritten „Liga“.

Eine vollständige „History of Punk“ – wenn man mal davon ausgehen würde, dass man diese „objektiv“ feststellen könnte – wird es wohl schlicht aus rechtlichen Gründen niemals geben. (Selbst die ansonsten sehr umfassende 20-CD-Zusammenstellung (!) „The entire history of Punk“ von Dressed to Kill muss auf Clash und Jam verzichten!) Jock Mc Donald hat diese versucht. Nicht wirklich ernsthaft, aber auf eine durchgeschossene, nihilistisch-überdrehte und humorvolle Art und Weise (weil: wer kann eine solch absurde Zusammenstellung ernst nehmen?), die für mich viel an typischem Punk-Humor widergibt. Deswegen, und weil mir das Cover ästhetisch wirklich gefällt, hat es mir diese Sampler-Reihe angetan.

Written by Falk Fatal

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